Schwulenstudie im Zeichen der Angst

■ Der „Bundesverband Homosexualität“ protestiert gegen Forschung über Homosexuelle

Als der Hamburger Sexualwissenschaftler Günter Amendt in der Mai–Nummer der Konkret auf das Vorhaben Danneckers, eine Untersuchung zu männlichen Homosexuellen in der Bundesrepublik 1987 durchzuführen hinwies, wußte er es schon ganz genau: „Du beabsichtigst“, schrieb er an seinen Frankfurter Kollegen, „im Auftrag einer konservativ–reaktionären Regierung, eine strafrechtlich verfolgte Minderheit nach dem Privatesten und Intimsten auszufragen, und tust das in einer Zeit, wo im Geltungsbereich des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland Repressionsmaßnahmen gegen Angehörige dieser Minderheit, soweit sie aidskrank oder viruspositiv sind, bereits ergriffen werden.“ Dannecker solle, so Amendt, „die politische Tragweite des Projekts erkennen und die Untersuchung abbrechen, ein Boykottaufruf erübrigte sich dann“. Was war geschehen? Martin Dannecker, nicht nur Wissenschaftler, sondern seit dem Beginn der neuen deutschen Schwulenbewegung in dieser aktiv und ihr verbunden, will mit einer Befragung die durch AIDS veränderte Lebenswirklichkeit bundesrepublikanischer Schwuler erforschen. Dannecker: „Mir erscheint es wichtig, die kollektiven Kosten der Schwulen durch AIDS einfach zu protokollieren. Es geht um eine Gegenrede zu dem, was in der Öffentlichkeit über Homosexuelle gesagt wird. Es gibt doch in letzter Zeit eine Menge von Untersuchungen, in denen vor allem Homosexuelle befragt werden, und die zum Teil zu zweifelhaften Schlußfolgerungen kommen. Insofern finde ich es schon erstaunlich, daß sich eine gewisse Kritik ausgerechnet an mir kristallisiert.“ Keine Einflußnahme Finanziert wird die Studie mit Mitteln des Bundesgesundheitsministeriums. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Fehlbedarfsförderung direkt an die Universität, d.h. das Ministerium ist nicht der Auftraggeber der Studie, wie dies oft bei Drittmittelforschung der Fall ist. Es gab keinen Einfluß des Ministeriums auf die Fragestellungen der Untersuchung oder gar die konkrete Formulierung des Fragebogens. „Ich weiß gar nicht, wer im Ministerium sich den überhaupt angeschaut hat“, berichtet Martin Dannecker. Ein deutlicher Unterschied zu der ebenfalls von Rita Süssmuth geförderten Untersuchung über das Sexualleben heterosexueller Bundesbürger, bei der sich das Ministerium Einflußnahme bis ins Detail vorbehielt. Folgerichtig lehnten die sexualwissenschaftlichen Institute in Frankfurt und Hamburg durch ihre Leiter Si gusch und Schorsch die Mitarbeit ab, nun betreut sie der Hannoveraner Klaus Parcharzina. In den Augen seiner Kritiker ist Dannecker dennoch nur das Hörrohr der smarten Bonner Ministerin. Mit einer solchen Darstellung schmückte jetzt der Bundesverband Homosexualität (BVH) das Flugblatt, mit dem er zum Boykott der Untersuchung aufrief. Die Befragten sollten sich verweigern oder besser den Bogen falsch beantworten, riet der Verband öffentlich. „Das Pfiffige an unserer Form des Boykotts ist, daß er nicht überprüfbar ist“, so Peter Humann vom BVH. Man habe sich zu spät in die Sache reingehängt, was auch Dannecker bestätigt: „Als der Boykottaufruf kam, war die Befragung teilweise schon abgeschlossen.“ Trotz erheblicher Kritik an der BVH–Aktion aus der Mitgliedschaft - die erfuhr aus der Presse von dem Aufruf - hält Humann sie für politisch richtig: „Es ist unser Recht als Homosexuelle, daß wir uns gegen eine solche Untersuchung wehren.“ Munition für Hetze Das wesentliche Argument der Gegner der Studie ist, daß die Homosexuellen ihre Daten hergeben sollen, ohne daß sicher sei, daß diese nicht gegen sie verwandt werden. Selbst wenn die Studie eine im Zeichen von AIDS verschlechterte Lebenssituation be lege, würden die Daten von rechten Scharfmachern dennoch gegen Schwule verwendet, denn schon einige „unsafe“ Sexualkontakte seien - erstmal wissenschaftlich belegt - diesen Munition für ihre Hetze. Und von der Bonner Regierung sei nicht zu erwarten, daß sie auf Grund einer Untersuchung ihre schwulenfeindliche Politik ändere. Schließlich wird noch süffisant auf die Volkszählung verwiesen. Amendt in Konkret: „Im Umfeld der Volkszählung wirkt deshalb Dein Vorhaben wie ein Sabotageakt an den vielfältigen und intensiven Bemühungen, Menschen vor der Preisgabe ihrer Daten und der Offenlegung ihrer Meinungen zu warnen.“ Abgesehen davon, daß Amendt hier wohl die Intentionen der Volkszählungsboykottbewegung nur halb verstanden hat, behauptet auch er nicht ernsthaft, die Daten würden nicht strikt anonym erhoben. Für Dannecker sind das „saumäßig schlechte Argumente“. Entsprechende Daten würden schließlich in den letzten Jahren überall erhoben, wer also Datenmaterial umdeuten wolle, müsse nicht auf seine Untersuchung warten. „Ich weiß, daß solche Studien die Gefahr des Beifalls von der falschen Seite in sich tragen, aber es ist doch eine Retabuisierung, wenn man deshalb über bestimmte Sachen nicht offen spricht.“ Bereits zweimal sei er in ähnlichen Auseinandersetzungen gewesen. „Als ich den Text zu Rosa von Praunheims Film Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation in der er lebt schrieb, hieß es, wenn das so rauskäme, würde es Pogrome gegen die Schwulen geben. Und bei der 74er Untersuchung kamen oft die gleichen Einwände wie heute.“ Mittlerweile mehrt sich auch die Kritik an den Boykottaufrufen. Prof. Rüdiger Lautmann von der Uni Bremen, Beiratsmitglied des BVH und Koordinator des „Forums Homosexualität und Sozialwissenschaften“, riet, den Aufruf auf sich beruhen zu lassen: „Der BVH will jemanden in Acht und Bann tun, der wie kein zweiter in der Bundesrepublik sich für die Sache der Schwulen hervorgewagt und hervorgetan hat. Da stimmt etwas nicht.“ Und die Schwulenzeitung Gay Express schreibt: „Wer unter dem Eindruck einer Politik Gauweilerscher Prägung Forschungsabstinenz fordert, nimmt in Kauf, daß wir unseren Anspruch, als Schwule öffentlich zu leben, zurücknehmen. Eine Politik der Ge heimhaltung wird sich also gegen uns richten, denn der Verzicht der Schwulen auf Öffentlichkeit ist gerade das Ziel der Repression. Gauweiler braucht nicht unsere Daten, Gauweiler braucht vor allem unsere Angst.“ Die Feldarbeit für die Dannecker–Studie ist mittlerweile so gut wie abgeschlossen. Die Fragebögen sind verteilt, eine gewisse Anzahl auch bereits wieder zurückgekommen. Martin Danneker hat nicht den Eindruck, als wenn die Boykottaufrufe allzuviel bewirkt hätten. „Es kommen im Moment zwar weniger Bögen zurück, aber Fälschungen sind erkennbar nicht darunter - oder sie müßten absolut perfekt sein. Kürzlich kam statt des Fragebogens ein IKEA–Katalog an, aber dafür habe ich auch ein gewisses Verständnis.“ Andreas Salmen