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Steuerstreit in Guatemala - Aufstand der Unternehmer

■ Unternehmerstreik, Verkaufsboykott, Vergeltung gegen „Streikbrecher“, Brandanschläge - guatemaltekische Unternehmer verteidigen ihre miserable Steuermoral mit Zähnen und Klauen / Regierungspolitik zur Reduktion des Haushaltsdefizits unter massivem Druck / Unternehmer akzeptierten 30tägiges Stillhalteabkommen

Aus Guatemala Ralf Leonhard

Dreißig Tage Waffenruhe konnte Guatemalas Präsident Vinicio Cerezo aushandeln. Nicht etwa mit der linksgerichteten Guerilla, sondern mit dem erzkonservativen Privatsektor, dessen Boykottaktionen für die christdemokratische Regierung derzeit weit bedrohlicher sind als der bewaffnete Kampf. Die Unternehmer protestieren mit aufwendigen Medienkampagnen und Streiks gegen ein Anfang des Monats verabschiedetes Steuerpaket und schrecken dabei auch vor blutigen Terroraktionen nicht zurück. Eine Verschwörung rechtsextremer Politiker gegen die erste Zivilregierung seit zwei Jahrzehnten wurde von der Armeeführung nicht unterstützt. Zwei Menschen wurden getötet, als unbekannte Täter Anfang Oktober einen Kleinbus mit einer Granate attackierten, und mehrere Tankstellen in Guatemala– Stadt gingen in Flammen auf. Hinter den Attentätern wird die dem Privatunternehmertum nahestehende rechtsextreme MLN vermutet. Es handelt sich offensichtlich um Vergeltungsaktionen gegen jene, die bei dem Boykott nicht mitgemacht haben. Denn ein dreitägiger Unternehmerstreik in der zweiten Oktoberwoche konnte zwar 90 Prozent des Geschäftslebens, nicht aber den Verkehr lahmlegen. Verwaltungsreform gegen miserable Steuermoral Anlaß für den Aufstand des mächtigen Privatsektors ist eine Anzahl von Steuergesetzen, die dem Haushaltsdefizit beikommen sol len. „Steuerreform wäre zu viel gesagt“, meint Mario Solorzano, Generalsekretär der Sozialdemokratischen Partei (PSD), die die Maßnahmen unterstützt, „es handelt sich eher um eine Steueranpassung“. Die guatemaltekischen Unternehmer sind in Lateinamerika absolute Spitze, was schlechte Steuermoral betrifft. Die mit steigenden Haushaltsdefiziten kämpfende Regierung verärgerte die Unternehmer bereits im letzten Jahr, als sie die Schweizer Buchprüfungsfirma SGS auf die Steuerhinterzieher ansetzte. Die Reform ist alles andere als radikal und ändert nichts an der Abhängigkeit der Regierung von indirekten Steuern, die in erster Linie vom Konsumenten getragen werden. „Eine wirkliche Reform, die das Schwergewicht von den indirekten auf die direkten Steuern verlagerte, wäre Selbstmord“, sagt Donado, „in der Vergangenheit sind derartige Vorstöße Anlaß für Mordanschläge und Staatsstreiche gewesen.“ General Rios Montt wurde im August 1983 nicht zuletzt wegen der Einführung einer Mehrwertsteuer weggeputscht. Und sein Nachfolger General Mejia Victores mußte im April 1985 eine Import– und Exportabgabe zurücknehmen, weil die Unternehmer mit Aufstand drohten. „Die Beziehungen zwischen Regierung und Privatsektor sind wegen des Steuerpakets derzeit auf einem absoluten Tiefpunkt“, urteilte Augusto Garcia, ein ehemaliger Präsident des Privatun ternehmerverbandes CACIF in einem Interview. Statt einer Steueranpassung rät der CACIF zu einer Kürzung der Staatsausgaben, um dem Defizit beizukommen. Garcia: „Der Staat soll seine Bürokratie einschränken.“ Privatbanken gegen den Mittelstand „Vinicio Cerezo ist ein Kommunist“, ließen die Unternehmer während des dreitägigen Ausstandes ihre Angestellten an die Wände sprayen, und in den Windschutzscheiben der Mercedes und Cherokees prangen Plakate: „Gegen das erdrückende Steuerpaket“. „Was die Unternehmer fürchten, ist nicht die Steuer, sondern der Präzedenzfall: Sie haben noch nie nachgegeben“, vermutet ein ausländischer Wirtschaftsexperte. Wenn die Regierung sich durchsetzt, so die Befürchtung des Privatsektors, könnte sie noch weiter gehen und eine Agrarreform in Angriff nehmen oder die Banken verstaatlichen. Guatemala ist neben Honduras das einzige Land Zentralamerikas, wo es noch Privatbanken gibt. Die Privatbankiers haben das Kreditwesen fest in der Hand und schließen den aufstrebenden Mittelstand vom Zugang zu Darlehen aus. Deswegen würde die Verstaatlichung der Banken mit Sicherheit die Popularität des Präsidenten heben. Dennoch hat Cerezo schon während des Wahlkampfes 1985 beide Maßnahmen ausgeschlossen. Um die Gemüter zu beruhigen, verpflichtete er sich während der jüngsten Verhandlungen mit dem Unternehmertum feierlich dazu, von derartigen Schritten Abstand zu nehmen. Gleichzeitig weigerte sich der Präsident, die Gesetze zurückzunehmen oder - wie von der Rechten gefordert - für einem Monat auszusetzen. Er weiß sich in dieser Entscheidung nicht nur von den Gewerkschaften und den Mitte– Links–Parteien im Parlament unterstützt, sondern auch von den Streitkräften, die mit den Unternehmern seit der Krise vom April 1985 eine Rechnung offen haben. „Gewisse Leute mögen gehofft haben, aus dem Unternehmerstreik Kapital schlagen und einen Putsch einfädeln zu können“, warnte der stellvertretende Verteidigungsminister General Guillermo de la Cruz, „aber die Armee ist überzeugt, daß das demokratische System erhalten werden muß.“ Gewerkschaften fordern Preisstopp Die Unternehmer wissen um die Unterstützung von den beiden großen Tageszeitungen, die während der Protesttage ohne Anzeigen und Farbfotos erschienen, und vom einst vom Diktator Rios Montt ins Leben gerufenen Gewerkschaftsbund CUSG. Dieser hat die These übernommen, daß das Belastungspaket die Arbeiter trifft. Die unabhängigen Gewerkschaften haben von der Regierung einen Preisstopp gefordert, denn obwohl sich sich die Steueranpassung kaum auf die Produktionsbedingungen auswirkt, sind Preise und Mieten bereits in die Höhe geschnellt. „Die Preiskontrollmechanismen der Regierung haben auch in der Vergangenheit nicht funktioniert und werden wohl auch diesmal versagen“, klagt ein hoher Gewerkschaftsfunktionär, „wenn sich die Situation etwas stabilisiert hat, werden die Arbeiter und Bauern demonstrieren müssen, damit die Regierung gegen die skrupellosen Geschäftsleute vorgeht.“ Von Stabilisierung kann bisher keine Rede sein. Die Regierung hat vorerst einen Pyrrhussieg über den allmächtigen CACIF errungen. Die Unternehmer verpflichteten sich in einem Abkommen vom 16. Oktober, mindestens 30 Tage lang von weiteren Boykottaktionen Abstand zu nehmen, während die Regierung für den Rest der Legislaturperiode auf weitere Steuerreformen verzichtet. Bis dahin werden gemeinsame Kommissionen das Belastungspaket analysieren.

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