Höhenflug mit massenhafter Bruchlandung

■ Ein neues Spiel, ein neues Unglück: „Flugzeuge“ kreisen über Berlin / Das Ticket kostet 3.000 DM - und ab geht die Lawine die die EinzahlerInnen begräbt / Die „Murmeln“ rollen, Champagner fließt, die Pleite dräut

Aus Berlin Tim Sperber

Dichter „Flugverkehr“ herrscht dieser Tage in Berlin. Doch die Passagiere der zahlreichen „Flugzeuge“ starten nicht vom Flughafen Tegel, sondern bleiben am Boden eines beliebigen Berliner Wohnzimmers. Mental–emotional haben bisher dennoch Tausende von BerlinerInnen kräftig abgehoben; zur Zeit häufen sich die Bruchlandungen - psychischer wie finanzieller Art. Denn was da „durchgestartet“ wird, hat mit der Materie zu tun, die die Welt regiert: Geld. Eine neue Knetebeschaffungsaktion wie weiland „Goldkreis“ macht wieder einmal die Runde - das „Flugzeug– oder Pilotenspiel“. Allerdings hat sich der Einsatz seit dem „Goldkreis“ verfielfacht: 3.000 Deutsche Mark kostet ein „Ticket“, um sich in eines der „Flugzeuge“ einzukaufen. Doch dafür wird viel versprochen - 21.000 Mark winken den AktivistInnen, die am Ende erfolgreich „ausgeflogen“ sind. Die goldnen Aussichten sind verlockend - man kennt schließlich auch Leute, die schon „auspilotet“, das heißt ausbezahlt, wurden. Nach dem Schneeballsystem wurde hier eine Lawine losgetreten. Da ohne neue SpielerInnen nichts mehr geht, müssen ständig Leute angeworben werden. Um willigen Einsteigern, die nicht über Startgeld verfügen, das „Mitfliegen“ zu ermöglichen, wird beim „Flugzeugspiel“ die gesponserte Teilnahme angeboten. Ein bereits „ausgeflogener“ Pilot übernimmt die Kosten für den Neueinsteiger und läßt sich gemeinhin mit der Hälfte des eingeflogenen Gewinns diese Hilfe gut bezahlen. Aber nicht alle haben solche Hilfestellung nötig. Bei den Treffen „schneller Flugzeuge“ mit gutbetuchten Architekten oder Steuerberatern werden schon mal die Schecks und Geldbündel über den Tisch des Hauses gereicht. Diese „meetings“ sind auch das wesentlich neue am „Flugzeugspiel“ im Vergleich zu verwandten Systemen. Mindestens zweimal die Woche treffen sich bei diversen Getränken, Snacks und Musik in der Regel mehrere „Maschinen“ (zwischen 30 und 90 Leuten). Meist stellen sich dann die Anwesenden einmal vor, jede/r erhält etwas übertriebenen, solidarischen Beifall und besonders enthusiastisch werden Piloten beklatscht, die bereits einmal „ausgeflogen“ sind, und nun wie der einsteigen. Nach Erläuterung der Spielregeln werden dann organisatorische Details geklärt. Die Listen der MitspielerInnen müssen aktualisiert werden, NeueinsteigerInnen geben ihren Spielnamen und Telefonnummer bekannt, Informationen werden ausgetauscht. Natürlich gibts nur ein Gesprächsthema - neue Kontakte zu knüpfen fällt daher auch kaum schwer, alte Bekanntschaften werden aufgefrischt, und gar mancher einsame „Flieger“ läßt seine Blicke nach einer netten „Mitfliegerin“ schweifen. Die Atmosphäre und der Verlauf dieser Treffen hängt ganz vom Teilnehmerkreis und der „Geschwindigkeit“ des „Flugzeuges“ ab. Bei manchen „Maschinen“ könnte man meinen, in eine Therapiegruppe geraten zu sein, wo denn auch schon über der Besprechung zwischenmenschlicher Wehwehchen fast verdrängt wird, daß es um den Zaster geht - denn man spricht fast ausschließlich von „Murmeln“. Andere bekennen sich klar zu ihrem Wunsch nach dem schnellen Geld und wollen nichts mit irgendwelcher „Esoteriktünche“ zu tun haben. In München zum Beispiel verfährt man recht eindeutig: Dort gibt es neben dem sogenannten „Volksmodell“ (1.000 DM Einstieg) den „Jumbo“ (5.000 DM) und die „Concorde“ (10.000 DM). Und nicht nur hier fließt der Schampus, delektiert man sich an Lachs, Ka viar, während der Konzernmanager für sich und Ehefrau zwei Plätze belegt - und mit cash–money bezahlt, versteht sich. Trotzdem wird auch an das soziale Gewissen appelliert; die MitspielerInnen sind aufgefordert, zehn Prozent ihres Gewinnes für gemeinnützige Zwecke zu spenden. Die Mitarbeiter von Greenpeace hatten allerdings von so einem Spiel noch nichts gehört. Das Spiel, das via Holland aus den USA kam (dort ist das Spiel mittlerweile verboten, da der Einsatz manchmal schon 100.000 Dollar betragen haben soll), hält nicht nur die Szene in Atem. Manche sind „Jumbo–Profis“ geworden: Sie haben ihren Job hingeschmissen, fliegen gleich in mehreren „Flugzeugen“, haben fast täglich „meetings“ und müssen ständig neue rekrutieren. Ein zunehmend schwierigeres Geschäft: Wer jetzt noch kommt, zahlt drauf - die zuletzt Dazugekommenen beißen bekanntlich die Hunde. Zwar behaupten die ganz in New–Age–Diktion gehaltenen Spielunterlagen, das Spiel sei end– und grenzenlos. Doch die Berliner Kripo scheint das anders zu sehen. Sie überlegt, ob sie ein Ermittlungsverfahren wegen Betrugs einleiten soll - sie weiß nur noch nicht genau, gegen wen... Allerdings müßte sie dann, wie Gerüchte nahelegen, mittlerweile schon in ihren eigenen Reihen nachforschen, oder bei den Kollegen der Berliner Feuerwehr...