110.000 t „Peanuts“ für die Nordsee

Berlin (taz) - „Ich habe durchaus ein gewisses Verständnis für Greenpeace. Aber uns läuft doch der Abfall, der anders nicht beseitigt werden kann, der läuft uns aus den Ohren raus. Es gibt einfach keine andere Technologie zur gefahrlosen Beseitigung.“ Martin Baumgarten, Geschäftsführer der in Bad Nauheim ansässigen „Ocean Combustion Service GmbH“ (OCS) ist gereizt, als die taz ihn anruft. Seine Firma hatte gestern einen schwarzen Tag, der empfindlich auf den Geldbeutel schlug. Nach einem „Unfall“, so Greenpeace, auf See mußte das OCS–Verbrennungsschiff Vulkanus II die Verfeuerung von 3.500 Tonnen Abfällen aus der spanischen Chemie– und Pharma–Industrie abbrechen. Das Schiff trieb mit abgeschalteter Maschine manövrierunfähig in der See. Seine Motorschraube hatte sich in den Netzen dänischer Fischerboote verheddert. Baumgarten, der eine Strafanzeige und Schadensersatzforderungen gegen die Fischer ankündigte, verteidigt die Seeverbrennung als „kostengünstige und zugleich ökologisch unbedenklichste Methode“ gegen die Angriffe von Greenpeace. „Sollen wir denn das Zeug wieder in den Gully kippen?“ Baumgarten sieht eine regelrechte Kampagne gegen seine Firma und die Seeverbrennung. Selbst im Fernsehen sei die Vulkanus als „Giftschiff“ bezeichnet worden, empört sich der See–Entsorger. Baumgarten: „Das sind doch alles Stories. Was bei uns wirklich rauskommt, ist Chlorwasserstoff–Gas, und das wird vom Seewind neutralisiert. In die Atmosphäre gehen allenfalls Kleinstmengen. Das sind Peanuts im Vergleich zu dem, was aus den Flüssen in die Nordsee fließt, wirklich Peanuts“. Die OCS rühmt sich bei ihrer Seeverbrennung eines Wirkungsgrads von 99,99 Prozent. Das hört sich gut an. Bei einer Schiffsladung von 3.500 Tonnen Gift, die verbrannt werden, heißt dies aber, daß 350 Kilogramm, also sieben Zentner, dem „Puffersystem der Nordsee“ anvertraut werden. Die Geschäfte der OCS laufen bis auf die lästige Greenpeace– Plage glänzend. Die Auftragsbücher sind gut gefüllt, zumal die kleineren Betriebe (“das sind die Vater–&–Sohn–Schmieden“) zunehmend ihre Abfälle über große Entsorgungsfirmen der Seeverbrennung zuführen. Auf Europas einzigem See– Verbrennungsterrain, der Nordsee, werden jährlich rund 110.000 Tonnen hochgiftigen Chemiemülls verbrannt. Drei Verbrennungsschiffe - Vulkanus I und II sowie die Vesta, die der Lehnkering–Montan AG Duisburg gehört - besorgen das Geschäft auf See. 200 bis 250 Dollar werden derzeit pro Tonne bezahlt, das ist weniger als die Hälfte der Verbrennungskosten an Land. Der Dumping–Preis kommt vor allem durch die sorglose Verbrennungstechnologie zustande, die auf eine aufwendige Filter– und Rauchgasreinigung verzichtet. Spitzenreiter der Seeverbrennung ist mit großem Abstand die Bundesrepublik, die 55 Prozent aller Abfälle anliefert. Beteiligt an der Entsorgung via Nordsee sind neben der Bundesrepublik Frankreich, Großbritannien, Belgien, Spanien, Schweiz, Österreich, Norwegen, Italien und die Niederlande. Die Bundesrepublik erlaubt nur die Verbrennung von Giften, die an Land durch mangelnde Kapazitäten nicht entsorgt werden können: die gefährlichen chlorierten Kohlenwasserstoffe. Ein Deponieren dieser Gifte kommt nicht in Frage, und die Sondermüll–Verbrennungsanlagen sind ausgelastet. In der Nordseeschutz–Anhörung des Bundestages Anfang des Monats forderte der Präsident des Umweltbundesamtes, von Lersner, zehn weitere Sondermüll– Verbrennungsanlagen, um die See–Verbrennung stoppen zu können. Bis 1995 will Bonn genügend Land–Kapazität zur Verfügung haben, um aussteigen zu können. Greenpeace dagegen fordert ein Verbrennungsstop bis 1990. Ein simpler Austausch der Verbrennungsöfen vom Wasser auf Land kann allerdings trotz der besseren Technologien an Land nicht der große Wurf sein. Abfallvermeidung wäre das Gebot der Stunde. Doch davon will man in den Chefetagen der Konzerne nichts wissen.Vor die Alternative Land oder See gestellt, erscheint so manchen die Verbrennung an Land noch als „kleineres Übel.“ Selbst ehemalige Ober–Ökologen, wie der jetzige saarländische Umweltminister Joseph Leinen verkaufen jetzt die Müllverbrennung als Ausweg aus dem Entsorgungsdilemma. Seit 1969 wird Chemiemüll auf See verbrannt. Auf der bevorstehenden Nordsee–Konferenz am 24. November in London soll die daraus entstandene Belastung für das Meer thematisiert werden. Die Umweltschützer von Greenpeace wollen bis zu der Konferenz den Verbrennungsschiffen weiter Dampf machen, um die „unkontrollierte, alles andere als harmlose“ Seeverbrennung zu stoppen.Die Greenpeace– Sprecherin Eva Goris: „Wir arbeiten weiter...“ Ihr Gegenspieler Martin Baumgarten von OCS zur taz: „Die spielen alle verrückt im Moment, wir machen jetzt erst mal eine große Pressekonferenz, um die Sachen mal richtigzustellen.“ Manfred Kriener