Thomas Sankara: Der Mut, die Zukunft zu erfinden

■ Am vergangenen Donnerstag wurde der Staatsschef von Burkina Faso bei einem Putsch seines Vertrauten ermordet / Mit dem Tod des westafrikanischen Jugendidols geht der Versuch zu Ende, einen neuen Regierungsstil für das Armenhaus der Erde zu kreieren: Gegen Bürokraten, für Bauern und Frauen

Von Al Imfeld

„Der aufrechte Mensch Thomas Sankara wurde im Lande der Auffrechten wie ein Baum im Sahel gefällt“, hieß es beim französischen Sender Antenne 2 nach der Ermordung des burkinabeischen Staatschefs am 15. Oktober. Aufrecht, geradlinig, unbestechlich, ehrlich, frisch, frech, unkonventionell: All das war der Hauptmann Thomas Sankara, Staatschef in einem der ärmsten Länder der Welt, dem westafrikanischen Staat Burkina Faso. Mit Sankara kam Afrikas Unikum Nr. 1 ums Leben. Auch wenn er (nach eigenen Worten) keine Zeit für Dichter hatte, seine sprachliche Kraft und Phantasie werden in Afrikas Politik–Geschichte eingehen. In Zukunft wird er wegen seiner treffenden Sprüche nicht mehr in der französischen Presse unter der Rubrik „Zitate der Woche“ anzutreffen sein. Sankara wurde am 21. Dezember 1949 wie eine symbolische Verbindung von zwei gegensätzlichen Völkern geboren: der Vater ein Mann aus dem verachteten Hirtenvolk der Peul; die Mutter aus dem Volk der stolzen Mossi. Wie es früher bei uns im christlichen Abendland für die Armen nur einen Aufstieg über kirchliche Dienste gab, so gab es für Sankara - wie für viele Afrikaner - nur ein Weiterkommen über die Militärschule. „Aber für diesen Weg könnt ihr mich nicht anklagen“, sagte er in einem Interview, denn: „Nennt ihr es bei euch einen Benediktinerputsch, wenn ein Schüler eines Benediktinergymnasiums später an die Macht kommt?“ Er war nicht nur ein jugendlicher Draufgänger, als er 1982 das erste Mal putschte, sondern ein Idealist, ein Idol der Jugend und einer, der neben dem Gewehr die Gitarre trug. Kurz darauf wurde er zum Verräter erklärt; aber schon zwei Monate später kehrte er am 4. August 1983 als Held zurück. Sankara war das Symbol der Jugend. Er war einer, der reden und musizieren konnte. Ein Soldat zwar, aber volkstümlich wie kaum je ein Politiker zuvor in Westafrika. Er hatte die Jugend und das Land hinter sich, die Frauen und die gewöhnlichen Menschen. Die Städter, die Intellektuellen, die Theoretiker, die Ideologen, die zivilisierten Franzosen und traditionellen Chefs, alte erstarrte Stammeshäuptlinge und die modernen Funktionäre und Bürokraten aus der städtischen Elite waren seine erbitterten Gegner. Ein neuer Stil Mit Sankara kam ein neuer Stil. Es geschahen unglaubliche Dinge in Obervolta, das er später in Burkina Faso umbenannte. Die Regierungskarossen wurden versteigert und statt Mercedes fuhren er und die Beamten Renault 5. Das war eine Gaudi, als die Mercedes– Limousinen der staatlichen Lotterie als Preis übergeben wurden. Ein Novum war auch der Versuch, den Frauen mehr Macht zu geben. Es begann mit der „Übergabe revolutionärer Verantwortung“ an Direktionssekretärinnen und Telefonistinnen: „Ihr sitzt an den eigentlichen Schalt–Hebeln der Macht. Ihr tippt die neue Politik. Wenn euch die Chefs reaktionäre und konterrevolutionäre Texte schreiben lassen, dann weigert euch und schaltet die Leitung nach außen zum Volk oder gar ins Ausland. Wenn eure Chefs Komplotte schmieden, laßt es das Volk wissen!“ Zu allen Frauen im Lande sagte er: „Genauso wie wir einen revolutionären Staatshaushalt führen wollen, müßt ihr zu Hause einen revolutionären Haushalt führen.“ In einem stark islamischen Staat forderte Sankara: „Jede Frau soll ein Sparbuch führen; jede Frau soll vom Mann unabhängig sein; jede Frau soll ausbrechen...“ Am Anfang wollte er gar, daß die Hälfte des Lohns eines männlichen Beamten auf das Konto der Frau ausbezahlt würde. Aber da soll er nicht durchgedrungen sein. Neu, ja wirklich revolutionär war die an Beamte und Funktionäre gerichtete Erwartung, daß sie „statt modisch im Nike–Anzug zu joggen, wöchentlich einen halben Tag bei einem Entwicklungsprojekt jobben“ sollten. Wer geht schon zur Schule oder gar noch an die Uni, um später mit der Hand zu arbeiten und sein weißes Hemd zu beschmutzen? Eine neue Generation So wie die Nachkriegsgeneration in Europa nicht weiter und ewig über Krieg und Schuld diskutieren will, so gibt es in Afrika eine Generation, die den Kolonialismus nicht mehr direkt am eigenen Leibe erfahren hat. Eine Generation, die des Jammerns und der Phrasen über Kolonialismus und Neokolonialismus müde ist. Diese Jugend will nicht mehr fremde Modelle kopieren. Aufholen? Was soll das! Einen eigenen Weg wollen sie. Nicht Theorie: weder Pariser Kaffeehaus–Marxismus noch Baobab–Palaver. Einfach beginnen; einfach etwas tun; einfach probieren... Sankara wurde sofort von der Welt eingestuft und zugeordnet: ein Marxist, ein Arm von Ghaddafi, ein Anti–Amerikaner oder ein Gegen–Franzose. Aber das war ein Mißverständnis. Diese neue Generation mit dem neuen Weg kümmerte sich wenig um rechts oder links; auch nicht sehr viel um ein abtraktes Gut oder Böse. Sie fing irgendwo an, der Schlag an die Wange kam unmittelbar - ob man wollte oder nicht; das zwang zu einer Korrektur - auch da war die Wahl klein; frech zeigte Sankara sich in einem neuen Gewand, und Worte des Widerspruchs fielen, die die Politauguren des Westens beschäfigten. Im Oktober 1984 sagte Sankara vor der UNO: „Es muß verkündet werden, daß es für unsere Völker nur eine Rettung geben kann, wenn wir allen Modellen, die Scharlatane jeden Schlags uns während 20 Jahren zu verkaufen suchten, den Rücken kehren. Es kann für uns keine Rettung geben, wenn wir diese Verweigerung nicht durchziehen. Keine Entwicklung ohne diesen Bruch.“ Immer und immer wieder verlangte er von allen neue Ideen und machte sich über veraltete Philosophien lustig. Er konnte darüber lachen. Gibt es so etwas, daß ein Marxist über den Marxismus lächeln kann? Oder daß ein Afrikaner sich über die „afrikanische Persönlichkeit“ mokiert? Sankara tat es. Und vielleicht kam es gerade deshalb zum Krach zwischen ihm und Blaise Campaore, einem intellektuellen Salon–Marxisten, der auf Ideologie und Reinheit bedacht ist. Gelähmte Revolution Burkina Faso ist ein verarmtes Sahelland von 274.000 Quadratkilometern Fläche und etwas mehr als sieben Millionen Menschen. Die Lebenserwartung beträgt statistisch etwas unter 40 Jahre. Symbolisch wurde Sankara also in diesem Durchschnittsalter ermordet. Und zwar: „Im Namen des Volkes.“ Um der Linie willen. Wahrheit, die kaum Wohlwollen zuläßt. Bereits werden die R 5 durch gepanzerte Fahrzeuge ersetzt und Volk nimmt im Kopf wieder Gestalt an. Sankara hat auch radikale Forderungen gestellt. Aber er ließ Widersprüche zu. Bei derartiger Ar mut und einer Analphabetenrate von fast 98 Prozent oder einer heutigen Einschulungsrate von nur 16 Prozent kann nicht alles ideal laufen - auch wenn „das Volk“ es will. Sankara hat auf die Jugend gesetzt. Zum Wesen dieser Jugend gehört jedoch, daß sie stürmt, wenig Zeit hat, alles sofort will, einseitig und daher leicht fanatisch ist. Das war der Fall mit den jugendlichen CDRs (Comites pour la Defense de la Revolution) oder Revolutionskomitees, die seit 1983 eingesetzt wurden und so die alte Ordnung der Chefs ins Wackeln brachten und ab und zu rücksichtslos und intolerant in Dörfern mit Alten oder Unwilligen umgingen... Aber zur Armut eines Landes gehört auch die Abwesenheit von Organisationen, Parteien oder Institutionen (außer den meist erstarrten oder seit dem französischen Kolonialismus verdorbenen Klan– oder Ältestenräte): Ansätze von Parteien und Gewerkschaften gab es nur in der Hauptstadt Ouagadougou. Aber gerade hier war das alles ein Klüngelwesen - viel mehr Clubs der Elite, die ihre Spielchen spielten. Überall wurde zwar gearbeitet. Aber die Erfolge kamen zu langsam oder gar nicht. Das ließ den Elan des Volkes erlahmen. Die einst gegen den Willen der Weltbank, der EG und auch der Franzosen weiter gebaute Bahn zu den Nickel–Bergen wurde nach einiger Zeit eingestellt. Von der „Revolution der Bauern“ sah kaum jemand Erfolge. All das lähmte die Revolution, die jetzt tragischerweise mit Putsch und Blut wiederbelebt werden soll. Das meint jedenfalls der bis dahin stets zweite Mann im Staat und jetzige Führer Campaore. Er will den Kurs - wie er sagt - weiterführen. Aus dem Sofort und Jetzt wird ein „Weiter– Führen der Revolution“. Kein Prophet, aber ein Symbol Um die Beamten mobil zu halten, hat Sankara jedes Jahr die Regierung ausgewechselt und sehr viel Regierungspersonal verschoben. Doch einer blieb stets: Blaise Campaore. Es war zu verstehen, denn Sankara verdankte ihm seine Position. 1983 hatte nämlich Campaore geputscht; er ließ Sankara aus dem Gefängnis holen und ihn nach Ouagadougou bringen. Das einfache Volk hatte sein Symbol zurückgefordert. Ob die Eifersucht das Herz Campaores vergiftet hat? Aber auch nach seinem Tod wird Sankara so etwas wie ein Schatten oder Schutzengel bleiben und sein. Sein Freund und Nachbarpräsident Jerry J. Rawlings (Ghana) ist ihm ähnlich. Auch er wurde von der Jugend ein zweites Mal zurückverlangt. Auch er enttäuscht viele - vor allem die Mittelklasse, die zwar klein, aber gerade weil sie noch etwas Geld hat, mächtig ist. Auch Rawlings hat ein von der neuen Elite total ruiniertes Land übernommen und mit allem Realismus dem Volk gesagt: „Wir haben nichts mehr. Nicht einmal etwas für ein Geschenk. Wir haben bloß noch Tränen und unsere Arme. Also müßt ihr weinen und den dürren Boden bewässern. Ihr müßt die Hände gebrauchen und überall etwas anbauen...Wer Würde will, kann diese nicht als Hilfe geschenkt erhalten.“ Auch Rawlings ist ein Symbol der Jugend. Sankara hat ähnlich gedacht und geredet, etwa in einer Pressekonferenz Ende März 1985: „Sie kennen die Lage in unseren Ländern dank ihrer Satelliten und Geheimdienstagenten - in all ihren Verkleidungen. Sie können entscheiden, uns Hilfe zu bringen, wenn sie es wollen...All dies hält uns nicht davon ab, Hilfe anzunehmen, wenn sie uns gewährt wird. Aber nehmt Euch die Mühe, uns zu versichern, daß die Hilfe nicht dazu dient, uns zu beherrschen. Ich versichere Euch, daß entgegen dem Anschein, ein Teil von uns mit jedem Hirsekorn stirbt, das wir erhalten. Von einigen Körnern erhalten wir den bitteren Nachgeschmack des Wunsches, uns zurückzuerobern.“ Immer wieder sagte er dem Volk: „Ich bin weder ein Messias noch ein Prophet. Ich befinde mich nicht im Besitz der Wahrheit.“ Sein Ehrgeiz bestand darin, das Volk aktiv werden zu lassen, die Dinge selbst in die Hand zu nehmen, aus der verachteten Rumpelkammer Burkina Faso etwas Würdiges zu machen. Aber es ist schwer, in den Hinterhöfen dieser Welt zu arbeiten. Fast prophetisch hat Sankara Anfang März 1985 gesagt: „Der Hauptfeind ist nicht die Reaktion von rechts sondern die von links.“ Auch gäbe es mehrere Zitate gegen die „Masturbation der Intellektuellen“, wo an der Klärung einer einzigen Idee gefeilt werde, aber schlußendlich niemand „zur Reinigung des Konkreten“ im Hinterhof käme. Einmal sagte er auch, daß jeder meine, ein Buch für die Nachwelt mit „vielen politischen und philosophischen Ideen“ schreiben zu müssen. Er, so sagte er lachend, werde keines schreiben. Aber sein Leben wird wie ein Buch in die Geschichte Afrikas eingehen. „Arbeit statt Palaver...Wir werden es wagen, die Zukunft zu erfinden, indem wir jetzt arbeiten“, das war Sankara. Es sei auf zwei Bücher mit viel Material über Burkina Faso und Reden und Zitaten von Thomas Sankara hingewiesen. 1. Im Sommer 1987 erschien im rotpunktverlag, Zürich, von Jean–Philippe Rapp und Jean Ziegler, Burkina Faso - eine Hoffnung für Afrika? Gespräch mit Thomas Sankara. 2. Bereits 1985 erschien ein Lesebuch, das aus einer Projektevaluation auf dem Lande entstanden ist: Mit Bauerngruppen arbeiten, Weltfriedensdienst, Berlin.