Kommen die sieben mageren Jahre?

■ Der Berliner Finanzkaufmann Günter Freye zum Börsenkrach / Als Geschäftsführer einer internationalen Vermögensverwaltung freut er sich auf lukrative Zukäufe

taz: Am Montag hat es, ausgehend von Kurseinbrüchen an der Wall Street, einen weltweiten Kurseinbruch gegeben, bei dem Anleger insgesamt 600 Mrd. Dollar verloren haben. Von einer „Börsenkatastrophe“ und einem „Börsenmassaker“ ist die Rede. Ist das tatsächlich so schlimm? Günter Freye: Sicher ist die Entwicklung für diejenigen schlimm, die zu hohen Kursen gekauft haben und noch schlimmer ist es natürlich, wenn man zu Höchstkursen auf Kredit eingestiegen ist. Der letzte Montag wird mit dem „Schwarzen Freitag“ verglichen, der 1929 die Weltwirtschaftskrise einleitete. Ist dieser Vergleich angebracht? Es gibt natürlich Parallelen. Das ist einmal die deflationäre Lage, denn in den Hartwährungsländern hatten wir ja jetzt überhaupt keine Inflation mehr. Zweitens war sehr viel Liquidität da, und das Geld gibt es auch immer noch, und drittens sind in den letzten fünf Jahren die Aktienkurse dramatisch auf immer neue Höchststände gestiegen - beides sehr ähnlich wie 1929. Soll das heißen, daß wir jetzt wie 1929 einen weltweiten Wirtschaftskrach zu erwarten haben? Das so weitgehend zu sagen ist mir zur Zeit noch zu riskant. Ich sehe aber eine weitere Parallelität zum Schwarzen Freitag. Im letzten und auch noch in diesem Jahr haben die großen Automobilhersteller mit sogenannten Insentive– Programmen, d.h. mit günstigen Zinsen und mit Rabatten ihren Verkauf angekurbelt. Für mich ist einer der Gründe, die zu dem Bündel gehören, das diesen Schwarzen Montag ausgelöst hat, der Rückgang des Autoabsatzes um 40% vom Oktober 1986 bis Oktober 1987. Und das ist ein Element, was wir ja beim Schwarzen Freitag auch hatten: ein Nachfrageeinbruch bei dauerhaften Konsumgütern. Und zuletzt möchte ich noch feststellen, daß ein Faktor sicherlich auch die restriktive Geldmengenpolitik in den USA ist, seitdem Greenspan die Federal Reserve übernommen hat. Und was war nun am Montag der konkrete Auslöser? Tja, das ist schwierig. Jedenfalls waren sich mit den Fundamentalisten und den Markttechnikern die zwei entscheidenden Börsenfraktionen einig, daß jetzt massives Verkaufen anstünde. Und dazu ist es dann ja auch gekommen. Fundis und Markttechniker, können Sie diese Gruppen noch einmal charakterisieren? Für die Fundamentalisten zählen solche Daten wie das Kurs–Gewinn–Verhältnis, das Kurs–Cash– Flow–Verhältnis und auch Marktpreis zu Buchwert einer Aktie. Für diese Gruppe war die Börse schon seit einiger Zeit überbewertet. Die haben krampfhaft nach Werten gesucht, die dieser Entwicklung gegenüber zurückgeblieben waren, um die Überhitzung nicht noch weiter zu treiben. Die Markttechniker machen ihr Handeln von anderen Faktoren abhängig. Die haben zum Beispiel den Chart vor Augen, die graphische Darstellung des Kursverlaufs einer Aktie oder die Darstellung des Verhältnisses der gestiegenen Kurse zu den gefallenen Kursen und noch jede Menge anderer Faktoren, die sich zu Aussagen über Markttrends aggregieren lassen. Gab es diese Fraktionen an der Börse schon immer oder ist das ein Resultat der Computerisierung? Als Philosophie gab es beides schon immer. Aber es ist völlig richtig, daß die Beobachtung von markttechnischen Indikatoren durch den Computer erheblich erleichtert worden ist. Da kann man Massendaten bewegen. In diesem Sinne hat auch der Computer seinen Anteil an unserem Börsenkrach. Denn wenn sich aufgrund der Daten und ihrer Verbreitung viele entscheiden, in die gleiche Richtung zu marschieren, weil sie eben alle die gleichen Bilder auf ihrem Computer haben und sagen, Mensch, das ist ein Verkaufssignal, dann wissen wir ja wie das ist, wenn alle auf einmal durch die gleiche Tür wollen, dann kommts zur Panik. Und wenn einer „Feuer! ruft, ist es für die Panik egal, ob es eins gibt. Gibt es denn nun eine Krise an der Börse oder nicht? Ja sicher. Und zwar in dem Sinne, daß das Erfolgspendel eben zu weit ausgeschlagen ist. Dann sind eben auch die Kurskorrekturen besonders drastisch. Aber wissen Sie, das chinesische Zeichen für „Krise“ ist das gleiche Zeichen wie für unseren Begriff „Chance“. Und das ist für die, die Liquidität behalten haben, die Chance, wieder einzukaufen. In der Krise wechseln die Aktien von der schwachen in die starke Hand. Kommen jetzt für die Börse die sieben mageren Jahre? Das ist durchaus möglich. Auf jeden Fall gibt es für viele eine Durststrecke. Haben Sie verloren? Natürlich haben wir verloren. Aber weit weniger als der Markt. Was machen Sie jetzt? Wir kaufen. Aber schön langsam, wir lassen uns nicht verrückt machen. Interview: Georgia Tornow