DTP - Dilettanten Treiben Plödsinn

■ Desktop Publishing–Kongreß: große Versprechungen und arge Zweifel / Teures Spielzeug

Von Marc–Sebastian Werner

Nach langem Dümpeln ist der PC– Softwaremarkt wieder in Bewegung geraten. In der vergangenen Woche trafen sich Anbieter, Anwender und Interessierte im ICC zum Tanz um das neue goldene Kalb der Branche: Desktop Publishing, kurz DTP. Oder „Druckreifes täglich produzieren“, so eine auf dem Kongreß prämierte Eindeutschung. DTP–Software macht einen PC zu einem elektronischen Lichttisch, auf dem Druckvorlagen layoutet und „montiert“ werden. Grafiken, Bilder und Texte in vielen Schriftarten und -höhen können dabei sehr frei verarbeitet werden. Die Qualität der so erstellten Druckvorlagen kommt nach der Ausgabe über einen Laserdrucker oder Satzbelichter dem konventionellen Satz nahe. Dabei bietet DTP - so die Anbieter - viel Raum für Kreativität und Effizienz: Auf dem direkten Weg von der Gestaltungsidee zur Druckvorlage entfällt aufwendige Handarbeit; ein Texter kann zugleich sein eigener Korrektor, Layouter und Setzer sein, der bis kurz vor Druckbeginn unbeschränkten Zugriff auf sein Werk behält. Freaks wie Kritiker rechnen mit einem Rationalisierungsschub und dem Verlust von Arbeitsplätzen im Satz– und Grafikgewerbe. Kurzfristig wird davon keine Rede sein können; zu viele Vorbehalte gegen DTP wurden - besonders am Rande des Kongresses - vorgebracht: - Die verfügbare Software ist nicht immer aufwärtskompatibel (und schon nach wenigen Wochen überholt); Dokumentationen sind oft unzureichend, Anwender werden mit den Programmen alleingelassen. - Die aufwendige „intelligente“ (mit eigenen Rechnern versehene) Peripherie (Scanner, Laserdrucker) ist noch sehr neu und sehr teuer, internationale Standards sind noch nicht durchgesetzt. - Die drastische Kostensenkung durch DTP ist nicht belegbar; bezahlt wird sie (noch) in jedem Fall mit technischen und gestalterischen Qualitätseinbußen: - Autoren und Textern fehlen in der Regel die Fähigkeiten eines Grafik–Designers oder Setzers; gut gemeinte, aber wirkungslose Layouts und typografischer Unfug sind die Folge. - Keine Software ersetzt einen Lektor; die in den Programmen oft enthaltenen „spellchecker“ und automatischen Silbentrennungen sind unzuverlässig, die Fehlerquote steigt. Das Arbeitsbild vom DTP–Beschäftigten, der alles macht (und kann), wurde mittlerweile als Variation der berühmten eierlegenden Wollmilchsau entlarvt. Der zuweilen erteilte Rat, DTP zu kaufen und den Setzer rauszuschmeißen, gilt heute als unseriös. Viele Texter, so die praktische Erfahrung, wollen von zusätzlichen Aufgaben ohnehin nichts wissen. Nach ersten Erfahrungen, etwa im Zeitschriften–Satz, billigt man DTP jedoch eine integrierende Wirkung zu: Der Texter macht zwar nicht die Arbeit zum Beispiel des Layouters, aber beide können am gemeinsamen DTP–Schirm aus des einen Idee und des anderen Fachqualifikation das gestalterische Optimum entwickeln. Dabei ist vielfaches Ausprobieren in Sekundenschnelle möglich. Solcherart flexibilisierte Zuständigkeiten fordern von allen Beteiligten eine neue Denkweise, die die eigene Tätigkeit in ihrer Beziehung zum Endprodukt sieht. Auch die Arbeitsorganisation muß optimiert werden, denn der Informationsträger Papier macht teilweise den Datenstrukturen des PC Platz, die die kleinste Disziplinlosigkeit mit einem vollendeten Datensalat strafen. Um DTP im Teamzusammenhang effizient einsetzen zu können, müssen sich überschneidende, unscharf konturierte Tätigkeitsprofile entwickelt werden, die schwer in Tarifsysteme zu fassen sind und - nicht zuletzt deswegen - sich hierzulande nur schwer durchsetzen werden. Auch Mentalitätsprobleme könnten dabei eine Rolle spielen. Die selbständige Grafik–/Satzbranche scheint DTP bislang nicht als Existenzbedrohung aufzufassen, sondern entwickelt vielmehr ein aktives Interesse an der neuen Technik. Kompetent gehandhabt könnte DTP sich als vielseitiges Werkzeug erweisen, zumal es sich mit bestehenden Techniken verbinden läßt. In der Anzeigengestaltung gibt es bereits einen typischen DTP–Stil, dessen Merkmal allerdings häufig eine gewisse Betulichkeit ist. Während die Software fast täglich leistungsfähiger wird, setzt die Hardwarekapazität dem DTP vorerst Grenzen. Die folgerichtige Integration der hochauflösenden elektronischen Bildverarbeitung zum Beispiel ist auf dem PC kaum realisierbar, und auch der verwaltbare Umfang von Publikationen ist eingeschränkt. Da aber DTP bislang nicht in große Netze integrierbar ist, bleibt unter anderem die Herstellung von bebilderten Lexika der konventionellen Technik vorbehalten. Für die eingeführten Computersatzsysteme ist DTP augenblicklich noch keine direkte Konkurrenz. In der Zukunft könnte die bereits heute erfolgreiche Zusammenarbeit von Marktführern beider Sparten richtungsweisend sein. Der Hybride DTP ist erst wenige Jahre alt, und das neue Produkt ist mit seinen bald 200 Jahresumsatz–Mio. (BRD) noch auf der Suche nach seinem Markt. Interessenten sollten mit den Systemen spielen und ihre Möglichkeiten selbst ergründen, so der schlaue Rat der Anbieter. In der Tat, DTP hat auf manch gestandenen Setzer die gleiche Wirkung wie Telespiele auf angehende Hacker. Bis die Kunden wissen, wofür sie ihre 25.000,––DM–Produkte (nach oben offen) eigentlich gekauft haben, werden sich die Anwendungen auf Präsentation, Dokumentationen und einfach gehaltene Anzeigen beschränken. DTP–Pioniere wagten sich schon auf Titelseiten von Fachblättern vor, konnten aber dort nicht so recht überzeugen. Eine Domäne des DTP wird dafür der neue Zeitgeist–Indikator Speisekarte sein; gegenwärtig ist hier noch simple Alphanumerik im schnöden Nadeldruck üblich. Angesichts des anhaltenden Preissturzes auf dem gesamten Mikrocomputermarkt rücken allerdings DTP–gestaltete Schülerzeitungen oder Flugblätter in den Bereich des üblichen. Eine grausige Vision für die Profis, doch keinesfalls aus Neid; vielmehr heißt DTP - so eine weitere Eindeutschung - auch „deutliche typografische Probleme“. Aufatmen können diejenigen, die sich vor dem „papierlosen Büro“ ängstigten. Denn bei allen Unwägbarkeiten, eines ist sicher: DTP wird die ohnehin steigende Papierflut weiter anschwellen lassen.