Fürsorgliche Schwarzarbeit für VS–Mann

■ Seit 1980 ist Michael Grünhagen, Beamter des Berliner VS und nach Auffassung der beteiligten Anwälte einer der wichtigsten Zeugen im Schmücker–Verfahren, untergetaucht / Mit welchem Aufwand dessen Identität verschleiert wird, enthüllte jetzt das TV–Magazin Panorama

Von Benedict M. Mülder

Berlin (taz) - 1980 war ein anstrengendes Jahr für den 42jährigen Berliner Verfassungsschützer Michael Grünhagen. Ein Foto von einem Mann im Wald - es sollte sein Leben verändern - war gerade durch die Presse gegangen. Dabei war bis zu dieser unfreiwilligen Enttarnung für den verdeckt arbeitenden Anti–Terrorspezialisten des Berliner Dienstes eigentlich alles glatt gegangen. Er galt damals wie heute als „unser bester Mann“, seine Risikofreude, sein Fleiß und ungebändigter Einsatzwille findet nach wie vor bei seinen Vorgesetzten uneingeschränktes Lob. Nur ein kleiner Kreis Eingeweihter vermutete bis 1980, daß Grünhagen tiefer in eine Affäre verstrickt ist, die man sich die Schmücker–Affäre zu nennen angewöhnt hat. Der mutmaßlich von einer linksradikalen Gruppe begangene Mord an dem Studenten Ulrich Schmücker (“Verräter“) im Berliner Grunewald lag damals zwar sechs Jahre zurück, ist aber bis heute in der über elfjährigen Prozeßgeschichte noch immer nicht aufgeklärt worden. Zwar sind sechs Mitglieder einer e Petersen alias Rühl intensiven Kontakt zu Schmücker pflegte, war Michael Grünhagen, der heute Michael W. heißt. Akten wurden vorenthalten, Aussagegenehmigungen nicht erteilt, ob unter SPD– oder CDU–Innensenatoren. Jedesmal stand das Wohl des Landes, Leib und Leben der Mitarbeiter auf dem Spiel. Inzwischen ist die Affäre eine des VS geworden. Wie dramatisch, belegt ein Brief, den Klaus Schwagrzinna während der Recherche für „Panorama“ überraschend und anonym aus dem „Amt“ erhielt. „Ein Freund“ schreibt da auf fünf Seiten: „Ich kann es nicht mehr ertragen mitanzusehen, wie Sachverhalte, die den Verfassungsschutz seit Jahren belasten, aus falscher Rücksichtnahme nicht bereinigt, sondern in immer bedrückenderer Atmosphäre von den Beteiligten einhergerollt werden. Meine hohen Herren spielen sich die Bälle zu, vertuschen alles. Ehe Grünhagen erneut, diesmal vielleicht für immer, untertaucht, muß gehandelt werden“. Abtauchen mußte „unser bester Mann“ wegen angeblicher Lebensgefahr auch 1980. Ein ranghoher Verfassungsschützer: „Wir lassen Mitarbeiter nicht fallen, wir haben ihn doch in eine Gefahrenquelle gebracht, deshalb müssen wir ihn schützen.“ Weil Grünhagen für die Arbeit in Berlin aber so „wertvoll“ war, blieb sein Aufenthalt beim BND in Pullach nur eine kurze Episode. Auch in der Polizeikaserne in Ruhleben wollte und brauchte er nicht lange verweilen. Nein, ein Haus mußte her, adäquat zum damaligen Domizil im Berliner Vorort Britz. Da traf es sich gut, daß sich im Besitz des Landes ein altes Fischerhäuschen am idyllischen Havelstrand befand und Grünhagen einen guten Bekannten hatte, dessen heimlicher Traum es war, einmal Architekt zu sein. Diesen Freund, Dieter Dörfler, beauftragte Grünhagen, das unter Landschaftsschutz stehende, verfallene Einfamilienhaus für sich und seine Familie „wieder bewohnbar“ zu machen. Die Baugenehmigung wurde unbürokratisch und schnell innerhalb eines Tages erteilt, und weil es um eine hochkarätige Geheimsache ging, konnte man auch auf sonst vom Staat geforderte Gepflogenheiten verzichten. Nicht einmal die damals von Dörfler selbst eingeräumten Ostgeschäfte und -kontakte des Bauunternehmers und seiner „Gesellschaft für Handel und Ingenieurtechnik“ (GHI) störten die Verantwortlichen. Bis heute streiten die Berliner Behörden „negative Erkenntnisse“ über Dörfler ab. 1983 wurde er indes vom Obersten Bayerischen Landgericht wegen „geheimdienstlicher Tätigkeit für eine fremde Macht“ zu zwei Jahren und vier Monaten verurteilt. Die Geschäfte hatte er danach seit mindestens 1979 betrieben. Sicher ist sich die Berliner Innenbehörde allein darin, so ihr Sprecher Birkenbeul: „Dörfler wurde vom KGB nicht gezielt auf unseren Mann Grünhagen angesetzt.“ Da also der Blick in die Berliner Kartei über Dörfler nichts Auffälliges ergab, konnte Dörfler loslegen. „Schwarzarbeit“ war angesagt (siehe Faksimile), und der damalige VS–Chef Franz Natuscht gab laut Dörfler seinen Segen. Zahlungen wurden teilweise über Grünhagen direkt, teilweise über Deckadressen oder in bar geleistet. Zahlungsbelege mußten von Dörfler zurückgegeben werden. Dieter Dörfler will, wie er Panorama versicherte, für die clandestine Bauweise am Fiskus vorbei eine knapp halbe Million Mark bekommen haben. Die Innenbehörde berechnete hingegen einen Baupreis von 337.872,66 DM. Ursprünglich waren Umbaukosten von rund 180.000 Mark vorgesehen. Panorama und taz vorliegende Quittungen weisen aus, daß mindestens 11.300 Mark für „Eigenleistung Bauvorha ben“ in die eigene Tasche gesteckt hat. Wo soviel verschleiert, vertuscht oder in der eigenen Tasche verschwindet, ist es nicht mehr verwunderlich, daß bis heute auch ein wichtiges Beweisstück für den Mord im Grunewald, die Tatwaffe, eine Parabellum 08, spurlos verschwunden ist. Nachdem der Spiegel im September letzten Jahres berichtete, daß die Waffe in den Besitz des Verfassungsschutzes übergegangen sei, ist jetzt erstmals ein intern streng unter Verschluß gehaltenes Dokument aufgetaucht, das die vermuteten Verstrickungen des Verfassungsschutzes in die Affäre bekräftigt. In dem aus dem gleichen Jahr stammenden dienstlichen Vermerk, der Spiegel–Autor Jeschke vorliegt und aus „seriösen Quellen“ stammt, heißt es über die Mordnacht am 4. Juni 1974: „Gegen 23.30 Uhr rief VM (V–Mann, d.red.) seinen VMF (V–Mannführer) an, und es wurde ein Treff vereinbart. Beide trafen sich gegen 0.20 Uhr. Hierbei übergab der VM dem VMF die Tüte mit der Waffe. Beide faßten die Waffe an. Der VMF nahm die Tüte mit der Waffe an sich. Etwa zur gleichen Zeit wurde im Grunewald die Leiche Schmückers durch amerikanische Soldaten gefunden. (...) Der für die Tat am dringendsten Verdächtige hat die Waffe unserem VM übergeben. Sie befand sich in unserem Besitz. Die Waffe trug die Fingerabdrücke des VM und des VMF“. Grünhagen selbst hat in einer „kommissarischen Vernehmung“ vor Gericht 1982 glauben machen wollen, er habe vom Tode des „Herrn Schmückers“ erst „am Morgen des 5. Juni 1974 um 05.00 Uhr Kenntnis erhalten“. Schon einmal hat Berlins Innensenator Kewenig (CDU) staatsanwaltliche Ermittlungen, die Licht ins Geheimdienstdunkel bringen sollten, niedergeschlagen. Kaum zu glauben, daß der Mann, über den auch der „Freund“ aus dem Amt sagt, daß er für äußerst zwielichtige Praktiken bei der Terrorismusbekämpfung steht, weiter unbehelligt bleibt. Michael W. hat inzwischen lediglich das Ressort gewechselt und arbeitet nun im Referat Ausländerüberwachung. VS–Mitarbeiter plaudern freiweg aus, was ohnehin vermutet werden kann: „Mit diesem Fall steht die ganze Berliner Führungsspitze zur Disposition“.