Alarm in der Wall Street

■ Die jüngsten Turbulenzen an den Börsen sind ein Warnsignal an die wackelige US–Wirtschaft

Auch wenn sich die New Yorker Börse gestern wieder beruhigt hat - die „Schlachthaus“–Stimmung in Tokio, Amsterdam und London hatte noch wenige Stunden zuvor gezeigt, daß eine Panikreaktion und ein handfester „Crash“ nicht mehr auszuschließen sind. Die USA zeigen mit dem Finger auf die Zinspolitik der Bundesbank, aber vier Finger weisen auf den Weltschuldner Nummer Eins zurück.

Nachdem am Montag die Aktienkurse weltweit Kapriolen schlugen, waren gestern die Wortgewaltigen dran. Dramatisches war aus den Fernschreibern der Agenturen zu entnehmen, um Beschwichtigendes bis Einschläferndes waren die Offiziellen aus Regierung und Hochfinanz bemüht. dpa meldete ein „Kursmassaker an den Weltbörsen“, am Amsterdamer Aktien–Markt hat die Agentur gar jemanden aufgetrieben, der sich „wie in einem Schlachthaus“ vorkam. Die Kollegen von ap registrierten an dem sonnigen Montag in der Bundesrepublik den „schwärzesten Tag seit der Kuba–Krise“. Da paßt es gut ins Bild, wenn ap–Frankfurt meldete: „Nichts geht mehr.“ Wie wahr. Die erste Pflicht eines Bundesfinanzministers ist in solchen Situationen, Öl auf die wogenden Worte zu gießen. Dafür eignete sich insbesondere „der Geist von Louvre“, der gestern nach einer Pressekonferenz Stoltenbergs im Anschluß an ein Gespräch mit US– Kollege Baker beschworen wurde. Der Rückblick auf die Vereinbarung vom Februar, als in der französischen Hauptstadt die Währungskurse festgelegt wurden, eignet sich zur Beruhigung - auf eine internationale Vereinbarung zur Festlegung der Aktienkurse konnte man sich naturgemäß nicht berufen, sie kann es nicht geben. Die Bundesbank war bemüht, den Eindruck zu erwecken, die bundesdeutsche Wirtschaft habe mit alledem nichts zu tun. Der dramatische Kursverfall hat nach den Worten von US–Vizepräsident Schlesinger „nichts mit irgendeinem Vorgang in der Bundesrepublik zu tun“. SPD– Wirtschaftsexperte Wolfgang Roth ist ausnahmsweise mit der Bundesbank einer Meinung: „Die USA sind die Hauptverantwortlichen“, erklärte er gestern nach einer Sitzung des Parteivorstandes in Bonn. Nicht glücklich dürfte die Bundesregierung über ihr wirtschaftspolitisches enfant terrible sein: Es werde „weitere Kursverluste“ geben, prophezeite Graf Lambsdorff. Ähnliche Befürchtungen werden wohl den Präsidenten des Sparkassen– und Giroverbandes, Helmut Geiger, beschlichen haben, als er eine sofortige Sondersitzung der Finanzminister der fünf wichtigsten Industriestaaten forderte. Der Präsident der EG– Kommission, Jaques Delors, dachte zunächst an seinen Bereich: Die EG–Finanzminister sollten unverzüglich in Brüssel zu einer Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.

ulk

London: Das unschuldige Opfer Die Aktienkurse an der Londoner Börse sind auch am Dienstag weiter in den Keller gefallen. Nachdem die Börse in Hongkong zuvor gar nicht geöffnet und Tokio mit einem Minus von 15 Prozent geschlossen hatte, fiel der Londoner „Financial Times 100–Index“ gleich in den ersten Minuten hektischen Verkaufens um weitere 300 Punkte. Die in London notierten Aktien waren binnen Stunden 100 Mrd. DM weniger wert als noch am Montag. Doch während der Börsensturz in Wall Street für Panik sorgte, nahmen die routinierteren City–Gentlemen den weiteren Kursverfall eher mit britischer Gelassenheit zur Kenntnis. Lediglich die jüngste Generation der Baby–Broker der Big Bang– Generation zeigte vor den computerisierten Bildschirmen in den Handelsetagen der Börsenfirmen erste nervöse Zuckungen. Nach 15 Jahren eines „bulligen Marktes“ hatten diese einen so rapiden Sturz der Aktienkurse noch nie erlebt. Insgesamt halten Börsenbeobachter den Zustand der britischen Volkswirtschaft - der derzeit wachstumsstärksten in Europa - für solide genug, um den Kursverfall ohne großen Schaden zu überstehen. Im Londoner Finanzzentrum, der „City“, betrachtet man sich nur als das unschuldige Opfer im großen Drama zwischen den hochzinsversessenen „Germans“ und den Amerikanern, die sich weigern, ihren defizitverseuchten Augiasstall endlich auszumisten. Einige halten den Schock sogar für heilsam, weil damit in London die überhitzten Spekulationsgemüter rechtzeitig wieder auf den Boden volkswirtschaftlicher Tatsachen zurückgeführt wurden. Nur die Regierung Thatcher zeigt sich angesichts der bevorstehenden Privatisierung von „British Petroleum“ (BP) zunehmend beunruhigt. Wenn die BP–Aktien auch in einer Woche noch wie heute 20 Prozent unter dem Emissionspreis liegen sollten, dürfte Maggies Traum, mit dem BP–Köder Millionen neuer Volksaktionäre einzufangen, ausgeträumt sein.