Wirtschaftsreformen bestimmen Chinas Zukunft

■ Am Sonntag beginnt in Beijing der 13. Kongreß der Kommunistischen Partei / Im Mittelpunkt steht das wirtschaftliche Reformprogramm Deng Xiaopings / Politische Reformen umstritten / „Sozialismus unter chinesischem Vorzeichen“ macht vieles möglich

Von Larry Jagan

London (taz) - Am Sonntag wird der 13. Kongreß der KP Chinas eröffnet, auf dem der künftige Kurs des Landes festgelegt werden soll. Zudem wird der Parteitag den Rahmen für die Nachfolge von Deng Xiaoping (83) abstecken. Beobachter gehen davon aus, daß Deng die Kontrolle über die Armee behalten und weiterhin als graue Eminenz der Regierung fungieren wird. Doch gleichzeitig wird der Parteitag die Ära seines künftigen Nachfolgers, des jetzigen Ministerpräsidenten und Parteichefs Zhao Ziyang, einläuten. Demokratische Reformen, die zahlreiche Gemäßigte als ein wesentliches Element für die erfolgreiche Verwirklichung der Wirt schaftsreformen ansehen, werden ganz oben auf der Tagesordnung rangieren. Dieses Thema hat in diesem Jahr bereits zu einer heftigen Diskussion innerhalb der Partei geführt. Der ehemalige Generalsekretär der Partei, Hu Yaobang, hatte sich mit dem Vorschlag vorgewagt, Partei und Verwaltung voneinander zu trennen. Damit reagierte er auf die ständigen Klagen über eine Einmischung der Partei in die Verwaltung der Fabriken und des landwirtschaftlichen Sektors. Hu Yaobang hat danach zwar seinen Posten verloren, doch die Notwendigkeit, dieses Problem anzupacken, besteht nach wie vor. In diesem Zusammenhang wird mit Spannung der lang erwartete Bericht über die Entwicklung Chi nas in den letzten zehn Jahren erwartet. Viele Beobachter sehen in den Reformen, wie sie von Deng Xiaoping Ende der siebziger Jahre eingeleitet wurden, eine langsame Auflösung der sozialistischen Institutionen. Um solchen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, hat Deng den Begriff des „Sozialismus mit chinesischem Vorzeichen“ geprägt. Was sich dahinter verbirgt, ist bisher eher undeutlich geblieben. Seit der Einführung der Landreform, die den Volkskommunen Verantwortlichkeit entzog und sie in die Hände der Haushalte legte, scheint eher Pragmatismus denn sozialistische Planung zu herrschen. In dem Maße jedoch, wie die „gemäßigten“ Befürworter dieses Kurses der Kritik der „Kon servativen“ ausgesetzt waren, ist die fehlende ideologische Untermauerung deutlich geworden. Um diese Lücke zu schließen, veröffentlichten einflußreiche Organe Aufsätze, in denen es heißt, daß China ein „vorläufiges Stadium des Sozialismus“ durchlaufe. Diese Analyse gesteht den sozialistischen Institutionen eine gewisse Unvollkommenheit zu - sie sei Ergebnis der noch unzureichend entwickelten chinesischen Produktionsverhältnisse. Auch die besorgniserregende Ungleichheit der Einkommensentwicklung sowie die fehlenden demokratischen Freiheiten würden sich daraus erklären lassen. Bedeutsam daran ist, daß diese These ein Nebeneinander von öffentlichen und privaten Besitzformen zuläßt. Deshalb ist zu erwarten, daß die Eröffnungsrede Zhao Ziyangs auf dem Parteikongreß auf dieser Theorie fußen wird. Wenn der Kongreß diese Sichtweise in den Grundzügen teilt, ist damit der Privatbesitz institutionalisiert, die Ausgabe von Aktien gestattet und auch der Durchführung eines neuen Unternehmensgesetzes, in dem auch Richtlinien für einen Bankrott festgelegt sind, wird dann nichts mehr im Wege stehen. Insider verweisen deshalb darauf, daß die wichtigste Entscheidung des Kongresses die über die Personen sein wird, die mit der Fortführung der Reformen betraut werden. Deng Xiaoping hat Zhao Ziyang bereits davon überzeugen können, sich von der Partei in dem Amt des Parteichefs bestätigen zu lassen und das Amt des Ministerpräsidenten abzugeben. Denn auch künftig wird der Ständige Ausschuß des Politbüros die tatsächliche Kontrolle ausüben. In ihm werden, davon geht man in China aus, die wichtigsten Strömungen der Partei vertreten sein. Einer gut unterrichteten Quelle zufolge sollen Zhao Ziyang, Li Peng, Yao Yilin, Hu Qili und Qiao Shin künftig mit von der Partie sein. Nur Yao Yilin gilt als Konservativer, Hu Qili und Li Peng sind vorsichtige Unterstützer des Reformkurses, die auch von den Konservativen akzeptiert werden. Der Prozeß der Machtübergabe an eine jüngere Generation wird auf dem Kongreß fortgesetzt werden. 80jährige Politiker wie der Vorsitzende des Komitees für Parteidisziplin, Chen Yun, das ZK– und Politbüromitglied Peng Zhen und Staatspräsident Li Xiannian werden vermutlich in den Ruhestand treten oder Ehrenpositionen übernehmen. Deng selbst wird sich zum Teil aus dem politischen Leben zurückziehen. Obwohl Deng Xiaopings Reformen Probleme wie Korruption und Inflation mit sich gebracht haben, ist die meistgeäußerte Klage die eines Gefühls der Unsicherheit. „Die Reformen haben die traditionell entspannte Atmosphäre in China aufgebrochen“, meinte ein Parteifunktionär. „Man muß den Leuten Sicherheit geben. Das schlimmste Szenario ist ein heftiger Machtkampf, wenn Deng Xiaping stirbt“.