Anklageverzicht im ANC–Entführungsplot

■ Durch die Aufhebung der Anklage bleibt die Rolle des britischen Geheimdienstes bei der geplanten Entführung der ANC–Führung in London ungeklärt / Frau Thatcher hält ihren Generalstaatsanwalt für „unabhängig“ / Vertrauliche Dokumente wurde der Anklage vorenthalten

Aus London Rolf Paasch

Der britische Generalstaatsanwalt hat am Donnerstag die Anklage gegen drei Männer fallengelassen, denen eine Verschwörung zur Entführung führender Mitglieder des „African National Congress“ (ANC) in London vorgeworfen wurde. Grund für die plötzliche Freilassung war dabei nicht etwa eine mangelhafte Beweislage für die Anklageerhebung, sondern die Furcht des politischen Establishments, die Verteidigung hätte in einem Prozeß den britischen Auslandsgeheimdienst sowie Regierungsmitglieder und konservative Abgeordnete belasten können. Während die Labour Partei eine Erklärung Frau Thatchers zu dem skandalösen Anklageverzicht verlangte, verwies die Lady eisern auf die „Unabhängigkeit“ ihres Attorney General, der als oberster Ankläger des Staates in Großbritannien jedoch gleichzeitig Mitglied ihres Kabinetts ist. So ist die Regierung bereits zwei Tage nach Beginn der neuen Legislaturperiode in den nächsten Skandal über die Praktiken ihres keiner demokratischen Institution verantwortlichen Geheimdienstes verwickelt. Die Geschichte über die geplante Entführung von ANC–Mitgliedern in London scheint bei näherem Hinsehen einem Spionagethriller zu gleichen, dessen Handlungsstränge dem Autor am Ende aus den Händen geglitten sind. Klar ist lediglich, daß die britische Anti–Terroristen–Polizei bei den drei im Juli Festgenommenen zahlreiche falsche Ausweise, Geheimpapiere des britischen Verteidigungsministeriums sowie Hunderte von vertraulichen Dokumenten fand und mitnahm, die der Anklage jetzt vorenthalten wurden. Der Anwalt der jetzt Frei gelassenen behauptet, die Unterlagen hätten bewiesen, daß seine Klienten Verbindungen zum britischen Geheimdienst MI6 unterhalten hätten. Eine Sprecherin des ANC in London fragte dann gestern auch, wieso keine Anklage erhoben werde, obwohl dem Gericht detaillierte Pläne zur Entführung hätten vorgelegt werden können. Auf der Liste der Entführer sollen ANC–Präsident Oliver Tambo sowie der Chef des Londoner ANC–Büros Solly Smith gestanden haben. Die britische Verwicklung in den Entführungsplot scheint mit einem geplanten Coup auf den Seychellen zusammenzuhängen, die für Pretoria als Brückenkopf zur Umgehung von Sanktionen an Bedeutung gewonnen hat. Einer Theorie zufolge hat der im Juli unter dem Namen Frank Larsen festgenommene Anführer der Gruppe die in London ansässige Exil–Regierung der Seychellen davon überzeugt, seine Hintermänner könnten den Oppositionellen bei einem Coup gegen die südafrikafreundliche Regierung Rene behilflich sein. Doch während sich die Exilanten von den ausgezeichneten britischen „Connections“ Larsens blenden ließen, arbeitet dieser in Wirklichkeit mit Agenten Pretorias zusammen; deren Auftrag bestand darin, die Opposition zur Regierung auf den Seychellen unschädlich zu machen, indem ihnen die geplante Entführung der ANC–Mitglieder in die Schuhe geschoben werden sollte. Sollte diese Theorie stimmen, dann schützt Frau Thatcher einmal mehr einen Geheimdienst, der sich erneut Inkompetenz oder Komplizenschaft mit kriminellen Elementen hat zuschulden kommen lassen. Entweder haben die britischen Agentenjäger nicht bemerkt, daß sich in den höheren Zirkeln des mit dem Geheimdienst verbundenen Establishments jemand herumtrieb, der wie Larsen als Mitglied ihres „Clubs“ posierte; oder der britische Geheimdienst ließ die südafrikanischen Agenten zunächst operieren, bis dann klar wurde, daß die Entführung von ANC–Mitgliedern auf britischem Boden doch nicht so ganz im Interesse der pretoriafreundlichen Thatcher–Riege liegen könne.