Artemis und Löwenzahn

■ Verena Stefan, einstige Kultbuchautorin der Frauenbewegung,legt ein neues Werk vor / „Wortgetreu ist träume“ unternimmt die Poetisierung des Landlebens /Eine Rezension von Heide Soltau

Am Anfang steht eine Mahnung: „Dies ist weder Fortsetzung noch Wiederholung eines Buches, das ein Kultbuch wurde.“ Brauchen Frauen derlei Leseanleitungen? Zumindest scheinen das die prominenten schriftstellernden Feministinnen von damals zu glauben. Verena Stefan ist nicht die erste, die ihr Buch mit einer Gebrauchsanweisung ausstattet. Schon Anja Meulenbelt präsentierte zu ihrem zweiten Roman einen Vorspann, in dem sie eigens hervorhob, daß es sich nicht, wie beim ersten Buch, um ihre „persönliche Geschichte“ handeln würde. Zwölf Jahre ist es her, daß „Häutungen“, Verena Stefans „autobiographische Aufzeichnungen Gedichte Träume Analyeen“ (ohne Komma geschrieben, das galt damals als feministisch) die Runde machten. Seitdem sind 285.000 Expemplare verkauft worden, und noch heute gehen jährlich 5.000 Stück über den Ladentisch. Dennoch, jungen Frauen ist Verena Stefan kein Begriff mehr. Insofern könnte der Spruch am Anfang des neuen Buches auch anderas verstanden werden: Wer es nicht weiß oder vergessen hat, diese Autorin hat einmal ein Kultbuch geschrieben. So gesehen, ein Werbegag. „Besondes während der Buchmesse, wenn ich Frauen sehe, die ich nur während der Buchmesse sehe, werde ich gefragt, ob ich denn immer noch auf dem Lande lebe...“ So beginnt das neue Werk „Wortgetreu ich träume“. Der Titel mag irritieren, denn Verena Stefan referiert weder ihre Träume, noch schreibt sie wortgetreu aus ihrem Leben ab, das sie im übrigen, ganz schick und la teinisch verfremdend, „Vita“ nennt. Gleichwohl verbirgt sich hinter dem erzählenden Ich unverkennbar die heute auf der Schwäbischen Alb lebende Verena Stefan. Zusammen mit einer Freundin, die in dem Buch schlicht „Gefährtin“ heißt, hat sich das Ich/ Verena Stefan dem Zyklus der Natur angepaßt und betreibt Garten– und Vorratswirtschaft. Diese „Vita“ ist kein reines Zuckerschlecken; schwere Arbeit, „Männerarbeit“, wie Verena Stefan eine Nachbarin sagen läßt, gibt es am Anfang reichlich: alte Wände abtragen, Holz spalten, graben, streichen, den Garten anlegen. Bis sich die beiden Frauen ihr Nest gebaut haben, müssen sie einige Monaten im Dreck wühlen, aber dann wird es friedlich und schön. Verena Stefan erzählt selbstverständlich keine lineare Geschichte, denn Linearität gilt gemeinhin als Zeichen für Männlichkeit. Die Autorin bewegt sich vielmehr in konzentrischen Kreisen, folglich weiblich, auf das Wesentliche zu. „In der eigenen Geschichte ankommen“, ist das letzte Kapitel dann auch überschrieben. Das ist durchaus wörtlich zu verstehen. Zum Schluß ziehen die Gefährtinnen trommelnd in eine Höhle ein. Eine Art magische Hochzeit, bei der die Frauen ihre Vermählung mit Mutter Natur feiern. Leben auf dem Lande, das heißt bei Verena Stefan: „In einem Jahr Knospen von Löwenzahnblüten dünsten“ und „nachts auf den Beeten das Gewimmel der Regenwürmer betrachten“. Wo so von Natur und Erde die Rede ist, und die beiden Frauen „mit Salbei den Ungeist der Vorgänger hinausräu chern“, wundert es nicht, wenn auch die matriarchalen Vorzeiten schwämerisch erwähnt werden: „Griechische Mytholigie lesen, zum ersten Mal Namen von Mondgöttinnen vor mich hin sprechen, Selene, Io, Artemis, Hekate, zum Himmel deuten und die kretische Nachbarin fragen: Wie heißt das?“ Es wimmelt nur so von Blüten, Blättern, Kräutern und Bäumen und allerlei magischen Ritualen. Schließlich und endlich gibts noch die am Himmel wanderende Mondin. „Dies ist ein poetisches Buch in einer unpoetischen Welt“, steht in besagtem sechszeiligen Vorwort. Verena Stefan hat sich Mühe gegeben, die Sätze sind nicht einfach hingerotzt. Wie schon in „Häutungen“ hat die Autorin die Buchstaben gedreht und gewendet und lernt immer noch neue Wörter: „Über die Schule des Sehens und des Riechens schreibe ich, die ich seit Jahren besuche, da helfen keine Worte, auch wenn ich dabei neue Wörter lernen muß, um Hartholz und Weichholz zu unterscheiden.“ Nicht nur in Sachen Holz, auch mit Kräutern und Blumen kennt sie sich wirklich gut aus, ich habe meinen botanischen Sprachschatz erheblich erweitern können. Daß manches unverständlich bleiben muß, gehört wohl dazu - bei Büchern, die poetisch sein wollen. So etwa bin ich unsicher, ob ich die Schlangen, die in einem Kapitel herumkriechen und im anderen gar in einen Tempel getragen werden, als Symbol für Sexualität interpretieren darf? Vermutlich fehlt mir nur die matriarchale Ader, sonst wüßte ich es. Weltabgewandt hat Verena Ste fan in den letzten zwölf Jahren nicht gelebt. Das Buch wimmelt von Anspielungen: Tschernobyl, Ozonloch, Terroristen, Dritte Welt, Gewalt gegen Frauen, Männer mit Gewehren. Verena Stefan läßt nichts aus, alle anstehenden Probleme werden wenigstens einmal genannt. Vor allem aber scheint sie über den Stand der Theoriedebatte informiert zu sein, jedenfalls vermeidet sie über weite Strecken das Personalpronomen Ich. Das Ich verschwindet im Verlauf des Textes, bis die Sätze schließlich subjektlos nebeneinander stehen. Anhängerinnen von Cixous und Irigaray, die oft verzweifelt nach praktischen Beispielen für eine feministische Ästhetik suchen, finden hier also endlich passende Belegstellen. Aber auch gebildete Leserinnen haben ihr Erfolgserlebnis. Sie werden sich daran erinnern, daß, von Rahel Varnhagen bis Christa Wolf, Schriftstellerinnen schon immer Schwierigkeiten hatten, Ich zu sagen. So gesehen, stellt sich Verena Stefan in eine prominente Tradition. Aber sie muß ihre Vorbilder mißverstanden und die Sache mit der gebrochenen weiblichen Identität in den falschen Hals bekommen haben. Von ganzen Passagen ohne Ich war nie die Rede. „Nachts hören, wie ein fallender Apel laut und schwer am Boden aufprallt“, oder, eine andere, ganz beliebig herausgegefriffene Passage: „Lesen, es habe bewaffnete Priesterinnen gegeben, mit Waffen in Mondform wie Sicheln“. Wer in dem Stil einige Dutzend Seiten gelesen hat, wird sich erschöpft nach einem vollständigen Satz sehnen. Ebenso sehnsüchtig habe ich auf etwas Unflätiges, Grobes oder wenigstens härteres Wort gewartet. Vergeblich. Hier herrschen Friede, Freude und Fliederbeersuppe. Verena Stefan: Wortgetreu ich träume. Geschichten & Geschichte. Arche Verlag Zürich. 118 Seiten, 22 Mark