Deutsch–deutsche Fahrrad–Farce

■ Der erste Fahrrad–Grenzgang seit dem Mauerbau fiel aus / AL–Politiker ohne Sattel zum Staatsakt in der „Hauptstadt“

Berlin (taz) - Daß Fortschritte im deutsch– deutschen Verkehr nur stückchenweise zu erlangen sind, mußten am Freitag die Berliner AL–Abgeordneten Gaby Vonnekold und Wolfgang Wieland buchstäblich er–fahren. Die beiden hatten sich zu Honeckers Staatsakt in Ost–Berlin aufgemacht. Dort erschienen sie später als einzige West–Berliner Gäste, denn West–Alliierte und Politiker der anderen West–Berliner Parteien blieben der Abschlußveranstaltung zur 750–Jahr–Feier in der „Hauptstadt“ aus statusrechtlichen Gründen demonstrativ fern. Weil aber auch die beiden Alternativ–Politiker etwas demonstrieren wollten, waren sie zum Grenzübergang geradelt, wohl wissend, daß diese umweltfreundliche Art der Einreise in die DDR nach den realsozialistischen Be stimmungen verboten ist. Allerdings hatten die ALer schon vorher ihren Gastgebern mitgeteilt, daß sie statt mit dem Rathaus–Dienstwagen per Fahrrad kommen würden. Weil die Gastgeber dies ungebührlich fanden, hatten sich beide Seiten im Vorfeld auf einen Kompromiß geeinigt: Die grünen Politiker sollten die Grenze per Fahrrad überqueren dürfen, dann jedoch in eine wartende Staatslimousine der DDR umsteigen und zum Palast der Republik gebracht werden. Doch kaum waren die radelnden ALer aus dem Sichtfeld der zahlreichen West–Fotografen und Kamerateams am Grenzübergang verschwunden, mußten sie feststellen, daß die DDR–Gastgeber doch nicht so entgegenkommend waren. Der erhoffte erste deutsch– deutsche Grenzübertritt per Fahrrad seit dem Mauerbau fiel aus. Freundlich, aber bestimmt bestanden die Grenzpolizisten darauf, die Fahrräder am Grenzübergang zu behalten, selbstverständlich gegen Aushändigung einer Quittung. Erst dann kontrollierten sie die Pässe. Der im Auto wartende Staatssekretär übermittelte den West–Gästen die offizielle DDR–Version des Vorgefallenen: Es habe sich, so betonte der DDR–Funktionär, lediglich um die „Anreise“, nicht jedoch - da bekanntlich verboten - um die „Einreise“ per Fahrrad gehandelt. Die Ost–Berliner Zeitungsleser bekamen von alledem nichts mit. Unter dem großen Foto, das in der Samstagsausgabe der Berliner Zeiung die ALer beim Small talk mit Honecker zeigt, fehlt der Hinweis auf die Fahrrad–Farce. Myriam Moderow