„Wir hatten schon die Koffer gepackt“

■ Entsetzen und Hoffnungslosigkeit bei tamilischen Flüchtlingen in der BRD angesichts des indischen Truppeneinsatzes in Jaffna / Trotz politischer Skepsis Solidarität mit der LTTE–Guerilla: Aber auch Resignation und Depression greifen um sich

Aus Bremen Biggi Wolff

Die Stimmung beim Treffen der Tamilensolidaritätsgruppe ist gedrückt. 20 Menschen, davon die Hälfte Deutsche, sitzen um die blaugestrichenen Tische im „Dritte–Welt–Haus“ Bremen beim Tee und tragen die neuesten Meldungen aus Sri Lanka zusammen. Viele verstehen die Welt nicht mehr. „Was machen die Inder denn da bloß“, bricht es aus Frau Kanagaratnam, einer 52jährigen Tamilin und Mutter von fünf Kindern hervor. Warum hat Rajiv Gandhi, den man jahrelang als Freund und Beschützer empfand, seiner Armee den Befehl zum Angriff auf die tamilischen Gebiete gegeben? Warum werden die einst so stolzen Tamilen einmal mehr zu Schutzsuchenden erniedrigt, die sich unter menschenunwürdigen Bedingungen in Tempeln zusammendrängen müssen, um dem Krieg zu entgehen? Noch vor kurzem hatte in dieser Runde allgemeine Aufbruchstimmung geherrscht. Reisende wurden nicht mehr gebeten, Saris, Sandelpaste und all jene anderen Kleinigkeiten aus Indien mitzubringen, die das Leben im Exil ein wenig angenehmer machen. Denn nach dem Ende Juli zwischen Raji Gandhi und dem srilankischen Präsidenten Jayewardene geschlossenen Friedensabkommen wolle man für die baldige Rückkehr nach Sri Lanka und den Neuanfang sparen. „Wir hatten schon die Koffer gepackt, aber jetzt können wir alles wieder wegstellen“, bemerkt bitter ein 33jähriger Familienvater aus Vavuniya, einer Kleinstadt im Norden Sri Lankas, gerade dort, wo die Grenze zwischen singhalesischen und tamilischen Siedlungsgebieten verläuft. Fast jeder weiß von Freunden zu berichten, die nach den Nachrichten, die sie jede Stunde im britischen Rundfunk BBC verfolgen, in tiefe Depressionen verfallen sind, nicht mehr aufstehen mögen. „Am schlimmsten ist es für die Unverheirateten, die noch ihre Verwandten in Jaffna vermuten“, sagt Kumar. Wie es ihnen geht, weiß man nicht. Es kommen keine Briefe mehr aus den umkämpften tamilischen Gebieten. Viele Tamilen verfolgen die Ereignisse auf der früher von einer Million Menschen bewohnten Jaffna–Halbinsel schon seit Anfang der 80er Jahre nur noch aus der Ferne. In Briefen werden die politischen Verhältnisse kaum angesprochen, nur die neueintreffenden Füchtlinge berichten aus erster Hand. Doch seit der Belagerung Jaffnas durch die Inder gibt es keine Zweifel mehr: „Niemals zu vor“, sagt Vythi, ein junger lediger Tamile, der seit 1979 in der BRD lebt, „ist soviel Geld für die Liberation Tigers of Tamil Eelam, kurz Tigers oder LTTE, gespendet worden wie im Moment. Früher haben wir uns öfter gefragt, was eigentlich mit dem Geld geschieht. Jetzt fragt keiner mehr danach.“ Ein Kritiker der Tigers hält dagegen, die Organisation habe es versäumt, neben der militärischen auch eine politische Bewegung aufzubauen. Vor allem in der Bundesrepublik. „Jetzt haben schon zum dritten Mal mehr als 5.000 Tamilen in Bonn demonstriert. Was liest und hört man darüber? Nichts. Ich schätze, in den nächsten Jahren kann es sich keiner leisten, in Jaffna von Revolution zu reden.“ Es wird beschlossen, einen „ffenen Brief an Rajiv Gandhi zu schreiben, um den Gemetzeln im Norden und Osten Sri Lankas mehr Öffentlichkeit zu verleihen. Doch die Forderung nach Asyl will niemand damit verbinden. „Es geht um die Menschen in Jaffna, nicht um uns. Wir sind erst mal sicher“, begründet Frau Kanagaratnam, und hier ist sich die Gruppe wieder mit den Tigers einig. Die LTTE nämlich versucht den Exiltamilen schon lange klarzumachen, daß sie kein Aufenthaltsrecht bräuchten, denn schon bald hätten die Befreiungskämpfer ein eigenes Heimatland anzu bieten. Ob die Anwesenden das glauben, sei dahingestellt. Mit Sicherheit aber wagt nach den letzten Urteilen zur Asylrechtsprechung kaum einer der 20.000 Tamilen in der BRD offensiv für ein Recht auf Asyl einzutreten. Nur 300 Fälle sind anerkannt, andere werden mit Begründungen wie der folgenden abgewiesen: „Das VG Bremen verkennt nicht, daß der betroffene Tamile bei Rückkehr nach Sri Lanka Mißhandlungen von erheblichem Gewicht erfahren, längere Zeit inhaftiert oder in Haft umkommen kann“. Die Maßnahmen der Sicherheitskräfte seien jedoch „Teil der Bürgerkriegsauseinandersetzungen, und Bürgerkrieg ist kein Asylgrund.“ Dazu kommt ein ganzes Stück schlechtes Gewissen. Als Asylsuchender hat man sich abgesetzt von der Befreiungsbewegung, selbstsüchtig Schutz gesucht, sich der Verantwortung zur Befreiung des Vaterlandes entzogen. Bei einer Rückkehr nach Jaffna würden die Exilanten aus Europa wohl nicht nur willkommen geheißen. „Wie können denn die Leute, die ein ruhiges Leben in Europa hatten, erwarten, daß sie hier die gleichen Rechte erhalten wie die Menschen, die jahrelang beschossen wurden und große Opfer bringen mußten“, heißt es in einem Statement der LTTE aus Jaffna zur Flüchtlingsproblematik. Trotzdem haben die Anstrengungen der Tamilen, weitere Familienangehörige aus Sri Lanka herauszuholen, de facto nie aufgehört. Zu oft scheiterten verheißungsvoll begonnene Verhandlungsrunden und andere Initiativen zur Lösung der tamilischen Bürgerrechte. Jede schwarz und hart verdiente Mark wurde nach Hause geschickt, damit jemand ein Ticket oder einen Paß kaufen konnte. Die jetzigen Kämpfe in Sri Lanka sind ein Schlag mehr in einer langen Reihe von Niederlagen. „Wie soll denn die Bevölkerung jemals vergessen, daß die Inder, die sie mit Blumenkränzen willkommen heißen, jetzt unsere Leute umbringen?“ fragen die Flüchtlinge. „Jetzt können die Tigers eigentlich nur noch weiterkämpfen, sonst wären ja alle Toten, alle Opfer der letzten Jahre umsonst gewesen.“ Was Wunder, daß viele tamilische Flüchtlinge von Politik lieber nichts wissen wollen und sich mit tamilischen Videos über die Nachmittage und Abende retten. Verliebt im Blumenbeet tanzende Paare, traurig schöne Lieder und eine nach Schema X gestrickte Lovestory sind ideale Verdrängungsmittel. Gisela, die deutsche Krankenschwester, beantwortet dann auch die Frage nach der mickrigen Teilehmerzahl des Abends gleich selbst: „Ihr seid ja schon so passiv und kaputt, daß ihr euch selbst die Verdrängung nicht eingesteht. Aber wir können euch doch euren Widerstand und eure Tränen nicht abnehmen.“ Die Köpfe sinken noch etwas tiefer, nicht nur bei den Tamilen.