China: Zurück in den Fortschritt

■ Das Theoriemodell vom „vorläufigen Stadium des Sozialismus“ löst die Lehre von der „permanenten Revolution“ ab / Wirtschaftsliberalismus statt Planwirtschaft

Von Nina Boschmann

Die neue chinesische Ideologie animiert zu Ratespielen. Was ist das? Mit Kapitalismus hat es nichts zu tun, aber es gibt Privatbetriebe. Es wird kräftig modernisiert und neue Ideen sollen ins Land, aber ja nicht die Demokratie westlicher Machart. Lösung: das vorläufige Stadium des Sozialismus, in dem sich China nach Prognosen der KP–Oberen noch bis Mitte des nächsten Jahrhunderts befinden wird. Der vage Begriff soll bei dem in dieser Woche tagenden 13. KP–Parteikongreß offiziell abgesegnet werden, um die wirtschaftliche Öffnungspolitik der letzten Jahre ex–post zu rechtfertigen. Für eine ideologische Neubestimmung ist es höchste Zeit, denn seit vor zehn Jahren Maos Lehre von der permanenten Revolution als zu turbulent über Bord geworfen wurde, werkelte Chinas Führung ohne theoretisches Fundament. Vor allem die Kritiker der von Deng Hsiao Ping eingeleiteten Reformen wiesen darauf hin, daß den Reden des neuen Führers vor allem zu entnehmen sei, was der chinesische Sozialismus nicht sein solle, nämlich nicht egalitär, keine geteilte Armut, keine Kopie ausländischer Modelle. Die neue Politik blieb umstritten. Erst im vergangenen Jahr versuchte die Parteiführung, die unerwünschten Begleiterscheinungen (d.h. die zunehmend offenere Kritik an der Partei und Bürokratie) durch die Kampagne gegen den bürgerlichen Liberalismus zum Verstummen zu bringen und damit den Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen. Die Theorie vom vorläufigen Stadium des Sozialismus soll jetzt die Gegensätze auch ideologisch versöhnen. Entsprechend der neuen Lehre hat China durch den Kampf zweier Linien (1958 -78) wertvolle Jahre verloren. Die Idee, daß ein fortgeschrittener Sozialismus möglich sei , solange die Produktivkräfte nicht entwickelt seien, habe dem Land ebenso wie die Kulturrevolution unendlichen Schaden zugefügt. Jetzt gelte es, das Versäumte aufzuholen. Solange die Produktivkräfte noch nicht voll entwickelt seien, können dabei nach den Lehren des marxistischen Theoretikers Su Shaozhi private und andere Formen des Eigentums nebeneinander bestehen. Kein System sei automatisch fortgeschrittener als das andere, was auch komparative Studien über den Entwicklungsweg verschiedener sozialistischer Gesellschaften bewiesen. In diese Kategorie paßt zum Beispiel der jüngste Beschluß des ZK–Plenums, die Verpachtung von Land durch private Bauern zu erlauben, um rentable Ackergrössen zu erreichen. Folglich gelten auch Renteneinkommen aus Vermietung oder Aktienbesitz nicht mehr als ausbeuterisch. Die Geset Während nach der Meinung mancher Theoretiker mit der Theorie vom vorläufigen Stadium des Sozialismus auch der Absolutheitsanspruch der Partei ins Wanken gerät, hat Premier Zhao Ziyang bereits klar gemacht, daß an den vier Grundideen (sozialisitischer Weg, demokratische Diktatur des Volkes, Führung durch die KP, Festhalten an Marxismus–Leninismus und Maos Ideen) nicht gerüttelt werde. Gewaltenteilung und Parteienpluralismus bleiben verpönt.Warum? Das sei, so Zhao, die eine dialektische Einheit.