I N T E R V I E W Eine provozierte Revolte

■ James Salmon, Generalsekretär der polynesischen Befreiungsfront (Tavini Huiraatira No Porinesia) und Abgeordneter im „Territorialparlament“ von Polynesien zu den Ereignissen in Tahiti

taz: Wie erklären Sie die plötzliche Eskalation der Ereignisse in Papeete? James Salmon: Die Ereignisse wurden von der mobilen Polizei provoziert, die auf Befehl der Pariser Regierung im Einsatz war. Dieser Polizeieinsatz hat eine Reaktion in der ganzen Bevölkerung, nicht nur bei den Hafenarbeitern, bewirkt. Man ist in den Hafen gegangen, um die streikenden Arbeiter zu unterstützen. Dort mußte man mitansehen, wie diese bewaffneten und ausgerüsteten Ausländer nicht nur mit Tränengasbomben, sondern auch mit Offensivgranaten auf die Menge losgingen. Es gab nicht wenige Verletzte. Ich war persönlich Zeuge, wie eine Granate einen Meter von mir entfernt explodierte und den Fuß eines Passanten vollkommen zerriß. Der Fuß mußte später amputiert werden. Wo liegen derzeit die sozialen Ursachen für die Krise? Die Probleme stammen nicht von gestern. Hinter den berufsorientierten Forderungen der Hafenarbeiter steckt eine allgemeine soziale Unzufriedenheit, die dieser Revolte ihre aufständlerische Dimension gegen das Spiel der etablierten Macht gab. Sind die Beweggründe der Hafenarbeiter mit denen der Unabhängigkeitsbewegung vergleichbar? Der Streik der Hafenarbeiter gründet auf ausschließlich gewerkschaftlichen Forderungen. Eine direkte Verbindung zur Forderung der nationalen Souveränität gibt es also nicht. Allerdings gibt es bei den Hafenarbeitern eine weitverbreitete Sympathie für unsere Bewegung. Umgekehrt hat die Unabhängigkeitsbewegung die Hafenarbeiter bei ihren Forderungen und Aktionen immer unterstützt. Stehen die derzeitigen Ereignisse im Zusammenhang mit dem Widerstand vor Ort gegen die französischen Atomversuche auf Moruroa in Polynesien? Man kann den Aufstand nur auf eine Vielzahl von Phänomenen zurückführen. Da gibt es die bekannten Betrügereien, u.a. die Unterschlagung öffentlicher Gelder durch den französischen Staatssekretär für den Süd–Pazifik, Gaston Flosse. Dann gibt es einen Mindestlohn, dessen Kaufkraft aufgrund der hohen Inflation der letzten Jahre kein Leben unter menschenwürdigen Bedingungen mehr ermöglicht. Dazu kommen nun noch die Atomversuche. Nie hat man die Bevölkerung gefragt, was sie von diesen Versuchen hält. Es gab nie eine Volksbefragung, weil Frankreich weiß, daß die Bevölkerung sie in ihrer großen Mehrheit ablehnt. Nach Tschernobyl hat es auf der ganzen Welt große Kontroversen über die radioaktive Verseuchung gegeben. Überall wurden Messungen unternommen. Bei uns, wo solche Messungen seit Jahrzehnten nahegelegen hätten - es gab seinerzeit 41 überirdische Atomversuche auf Moruroa–, ist es bis heute nicht dazu gekommen. Interview: Georg Blume