Wenn die Deiche Trauer tragen

■ Mit dem Staatsakt im Lübecker Dom soll nicht nur der Leichnam des schleswig–holsteinischen Ex–Ministerpräsidenten, sondern auch die Affäre Barschel beerdigt werden

„Na denn viel Spaß“, wünscht der Parkplatzwächter unweit des Lübecker Doms. Wieso? „Na, ohne Spaß geht doch keiner zu einer Beerdigung“, lacht der Mann. In den weiträumig abgesperrten Gassen um den romanischen Sakralbau herum habe die Polizei, so ein Kaufmann, „jeden Gullideckel hochgehoben, um nach Sprengkörpern zu suchen“. Schon zwei Stunden vor dem Ereignis liegen die Patienten des Marienkrankenhauses nicht in ihren Betten sondern im Fenster. In der rasch anwachsenden Schlange vor dem Dom–Portal steht Hausfrau Gisela Maaß, mit Tochter und Schwiegertochter angereist aus Oldenburg/Holstein. Mit leiser Stimme: „Wir wollen unserem Uwe Barschel die letzte Ehre erweisen.“ Aus Oberammergau kam Trude Michel: „Einem Toten macht man keine Vorwürfe.“ Und „in Treue fest“ wollen die Damen des Bundes der Vertriebenen zu ihrem früheren Gönner stehen. Selbst der eisige Wind hält sie nicht davon ab, stundenlang in ihren dünnen preußischen Trachtenkleidern mit Häubchen vor dem Portal auszuharren. 16–18jährige Schüler haben sich freigenommen, „der Person wegen. Dies ist nicht die Stunde der Abrechnung, sondern der Dankbarkeit“, meint ein Zwei–Meter–Jüngling im Yuppie– outfit. Das Wort „Dankbarkeit“ ziert auch einige der Kränze. Soweit sie von Politikern stammen, steht auf den Schärpen nur der Spender. Gewohnt popelig wirkt Helmut Kohls Kranz - gelbe Rosen und rote Nelken - neben dem Gebinde vom Bundespräsidenten - Chrysanthemen, Gerbera und Lebensbaum, Ton in Ton. Ab zehn Uhr füllen sich die 1.500 Sitz– und Stehplätze des erstaunlich schlicht gehaltenen, weiß gekalkten Domes. Beim Einzug der Bundespolitiker recken sich die Hälse. Besonders Neugierige stehen auf - Haushaltstrepp chen mußten draußen bleiben. Kohl, Jenninger, Wallmann, Süssmuth, Stoltenberg nehmen in der ersten Reihe neben dem schmucklosen Altartisch Platz. Ihnen gegenüber setzen sich SPD– und CDU–Landesminister auf die Bänke. Auch von der in die Affäre verwickelten Kieler Prominenz fehlt kaum jemand - bis auf die Mehrzahl der SPD–Opposition. Sie hatte abgesagt - wegen Pfeiffers AIDS–Telefonat. Nur Norbert Gansel und Klaus Klingner, der SPD–Vorsitzende des Untersuchungsausschusses, mischen sich unter die Trauergäste. Während sich alle Augen auf die Familie des Verstorbenen richten, blickt Gerhard Stoltenberg ausdauernd nach unten. Freya Barschel hatte sich ausdrücklich einen Auftritt des CDU–Landeschefs verbeten. An seiner Stelle spricht der geschäftsführende Ministerpräsident Henning Schwarz - die Rede ist eine einzige Peinlichkeit. Schwarz lobt Barschels „Kameradschaftlichkeit und Sinn für Gerechtigkeit“, den „Denker, Formulierer und Debatter“. Besonders hebt Schwarz hervor: „Uwe Barschel war ein naturverbundener Mann. Man muß ihn in seiner wildesten Kluft in seinem Garten und mit Tieren erlebt haben. Er hatte einen offenen Blick für alles, was wächst und lebt.“ Kurze Worte der Selbstkritik schließen die Rede ab: „Wir, seine politischen Freunde, müssen uns fragen, ob wir ihn so vorbehaltlos geliebt haben und geschätzt haben, wie seine Frau, seine Kinder und seine Geschwister. Sicher nicht.“ Den Contrapunkt gegen diese Rede setzt Bischof Ulrich Wilckens. Doch auch seine Ansprache beginnt mit einer Peinlichkeit erster Güte: Das Mikro hat einen Wackelkontakt! Man versteht nur einzelne Wortfetzen. Wilckens steigt von der Kanzel, geht zum Pult hinter dem Eichensarg mit der Schleswig–Holstein–Fahne. Dort wiederholt sich das Gestammel. Kenner der Elektrotechnik, die nicht an den Teufel glauben, behaupten hinterher: „Das war das Kreuz, immer wenn Wilckens sich vorgebeugt hat, löste die Kette mit dem Kreuz Schwingungen aus.“ Leises Geflüster durchdringt den lichtdurchfluteten Raum, in dem Kameras wegen der Würde nicht zugelassen sind: „Entsetzlich“, „Sabotage“. Zwischenzeitlich funktioniert die Übertragungsanlage. Wilckens deutet vorsichtig die Verstrickungen Uwe Barschels in die Schmutzaffäre an, sieht aber die Ursachen für eine vom Wahlvolk erwartete Politik „nach dem Idealbild eines Boxers“ bei allen Menschen. „Solange es schlicht als Katastrophe gilt, wenn die einen die anderen in der Macht ablösen, und die Macht zu verlieren als Schande gilt“, werde „Machtsucht das demokratische Gemeinwesen in seiner Wurzel schaden.“ Es sei zu befürchten, so Wilckens weiter, „daß hier der eigentliche Herd der Krankheit liegt, die Uwe Barschel hingestreckt aber auch viele andere befallen hat“. Jetzt müßten den „Lippenbekenntnissen für Umkehr und Neuanfang“ Taten folgen. Nach dieser sehr politischen Predigt weist Bischof Wilckens den Christdemokraten und anderen Politikern einen Weg zur Wiedergewinnung des Vertrauens in staatliche Macht: „In der gegenwärtigen Situation ist nichts so notwendig für uns alle wie das Gebet um die Vergebung Gottes.“ Eine Orgelimprovisation „Oh Haupt voll Blut und Wunden“ beendet die Trauerfeier. Sechs Träger bringen den Sarg nach draußen. Dort übergibt Ministerpräsident Schwarz der Witwe die gefaltete Fahne. Damit, so hieß es am Vorabend inoffiziell in der Pressestelle der Landesregierung, sei „der Fall Uwe Barschel für das Land Schleswig–Holstein erledigt“. Petra Bornhöft