Plastikhülle legt Reaktorschutz lahm

■ Bundesumweltministerium bestätigt Einbau von defekten Sicherheitsrelais in mehreren AKWs / Materialschwund läßt Reaktorschutzsystem versagen

Aus Nürnberg Bernd Siegler

In bundesdeutschen Atomkraftwerken waren Sicherheitsrelais eingebaut, deren Plastikgehäuse sich derart verformen, daß die manuelle Schnellabschaltung des Reaktors beeinträchtigt wird. Das geht hervor aus einem Schreiben aus dem Bundesumweltministerium, in dem ein Dr. Gerhardt von der Abteilung für Reaktorsicherheit am 19. Oktober dieses Jahres schrieb: „Es ist dem Bun desumweltministerium bekannt, daß bei wiederkehrenden Prüfungen ein Versagen der Einschaltbereitschaft von Sicherungsautomaten im Reaktorschutzsystem entdeckt wurde.“ Adressat des Briefes mit dem Geschäftszeichen RS I 5–510 214 II Be ist der Nürnberger Jürgen Behnisch, ehemaliger Beschäftigter bei KWU und Siemens in Erlangen. Während seiner Tätigkeit als Leiharbeiter bei Siemens im August 1986 war Behnisch ein streng vertrauliches Schriftstück in die Hände gefallen, wonach das betreffende Relais ab sofort nicht mehr ausgeliefert werden dürfe. Sein Einbau würde die Funktionsfähigkeit des Schnellabschaltsystems im Reaktor gefährden, hieß es darin. Die Herstellerfirma der Relais habe sich danach verpflichtet, das Bauteil auf ihre Kosten auszubauen und auszutauschen. Fortsetzung auf Seite 2 Behnisch wandte sich daraufhin im Juli schriftlich an das Bundesumweltministerium und fragte nach. Für das Ministerium bestätigte nun Dr. Gerhardt, daß „der Defekt zuerst bei Prüfungen des Reaktorschnellabschaltsystems im Kernkraftwerk Krümmel“ entdeckt wurde. „Als Ursache stellte sich Materialschwund des Gehäuses bei den vorherrschenden Einsatztemperaturen und ungünstige Toleranzpaarung der Bauteile heraus.“ Im Siedewasserreaktor Krümmel, seit 1983 in Betrieb, seien die betroffenen Sicherungsautomaten „sofort gegen geeignete Komponenten ausgetauscht und andere betroffene Kraftwerke informiert“ worden. „Im Auftrag des Bundesumweltministeriums“ informierte die Gesellschaft für Reaktorsicherheit alle Betreiber und Aufsichtsbehörden der Atomkraftwerke. Andere Kernkraftwerke, in denen solche geeigneten Sicherungsautomaten eingebaut waren, hätten „diese ebenfalls ausgetauscht“. Michael Sailer vom Öko–Institut Darmstadt bescheinigt dem Briefschreiber, einen „abwieglerischem Ton“: In nahezu allen Fällen habe der Ausfall der Schnellabschaltung erhebliche Konsequenzen. In bundesdeutschen AKWs wird bis zu zehn Mal im Jahr pro Anlage die Schnellabschaltung ausgelöst. Insbesondere wenn Wärmeabfuhr und -produktion aus dem Primärkreislauf aus dem Gleichgewicht geräten, kommt dem Schnellabschaltsystem eine besondere Bedeutung zu. Die Nachkühlsysteme sind immer nur darauf ausgelegt, die sogenannte Nachzerfallswärme nach Abschaltung des AKWd, - das sind sechs Prozent der Be triebswärme - abzutransportieren. Der manuellen Schnellabschaltung kommt immer dann Bedeutung zu, wenn die Automatik nicht funktioniert. Bereits im Mai 1986 mußte das AKW Mülheim– Kärlich manuell abgeschaltet werden. Die Automatik wäre zu langsam gewesen, hatten damals sowohl die Betreiberfirma Rheinisch–Westfälische–Elektrizitätswerke (RWE) als auch das Land Rheinland–Pfalz den Einsatz der handbetriebenen Abschaltung begründet. Vermutungen, wonach die Automatik schlichtweg ausgefallen war, liegen jedoch nahe. Michael Sailer rechnet damit, daß alle AKWs, die zwischen 1981 und 1984 in Betrieb gegangen sind, von diesem Defekt betroffen sind. Dr. Gerhardt spricht von „sehr wenigen betroffenen“ Atomkraftwerken. Auf weitere Fragen, unter anderem, um welche AKWs es geht und danach, ob die Austauschaktion inzwischen vollständig abgeschlossen ist, wollte Gerhardt nicht antworten. Er verwies die taz auf den Dienstweg über die Pressestelle sienes Ministeriums, der rund eine Woche dauert.