Richter sollen Maß oder Mund halten

■ Bundesverwaltungsgericht entschied gegen 35 Lübecker Richter und Staatsanwälte, die mit einer Zeitungsanzeige gegen die Nachrüstung protestiert haben / Förmliche Ermahnung war zulässig

Von Nikolaus Müller–Schöll

Berlin (taz) - Richter und Staatsanwälte dürfen ihre politische Meinung nicht öffentlich unter Berufung auf ihr Amt äußern. Dies geht aus einer Entscheidung hervor, die das Bundesverwaltungsgericht gestern in Berlin gefällt hat. In zwei sogenannten Pilotverfahren mußten die Berliner Richter gestern über die Revisionsklage eines Richters und eines Staatsanwaltes aus Lübeck entscheiden, die 1983 zusammen mit 33 weiteren Justizbeamten in einer Zeitungsanzeige juristische Bedenken gegen die Nachrüstung angemeldet hatten und dafür von ihrem Dienstherrn mit einer förm lichen „Ermahnung“ gerügt worden waren (siehe taz von gestern). Das BVerwG schloß sich mit seiner Entscheidung dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg an, das die Zeitungsanzeige der Richter als „zu reißerisch“ gerügt hatte. Die Berliner Richter forderten eine „klare Trennung zwischen „Richteramt und Meinungskampf“. Das „Amt“ der Unterzeichner verpflichte sie zu Mäßigung und Zurückhaltung. Der betroffene Lübecker Staatsanwalt Werner Spohr bezeichnete das Urteil als „Versuch der Disziplinierung“. „Die Grenze der Meinungsfreiheit wird bestimmt durch die Größe einer Überschrift, einer Anzeige; das kann nicht richtig sein!“, sagte er. Er gehe davon aus, daß die Unterzeichner Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht einlegen werden. Der Anwalt der Unterzeichner, Rüdiger Zuck, hatte dargelegt, daß es nicht um die relativ unbedeutende Ermahnung als solche gehe, sondern darum, wie „sich das Richterbild mit der Zeit“ wandle. Die Ermahnung sei Teil eines überkommenen Bildes von Richtern und Staatsanwälten. Der Richter dürfe heute nicht mehr lediglich als Medium, durch welches das Recht fließt, gesehen werden. Vielmehr müsse klar werden, daß er eine Person sei. Dagegen sah der Anwalt der schleswig–holsteinischen Justiz das „Interesse der Rechtspflege“ berührt, da der Bürger sich Richter und Staatsanwalt nicht aussuchen könne. Er sagte, die Neutralität und Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte könne durch derartige Meinungsäußerungen gefährdet werden. Der betroffene Lübecker Staatsanwalt Spohr hatte zuvor bestritten, daß das Vertrauen in die Justiz durch die Anzeige erschüttert worden sei. In den ungefähr 150.000 Verfahren, an denen die 35 Unterzeichner der Anzeige seit 1983 beteiligt gewesen seien, habe es keinen einzigen Antrag auf Befangenheit wegen der Meinungsäußerung gegeben.