London „rüstet sich“ für Europa

■ Die Aussicht auf ein Abrüstungsabkommen zwischen den Supermächten führt zur Annäherung zwischen Großbritannien und Frankreich / Gemeinsame Modernisierung der nuklearen Arsenale angestrebt

Aus London Rolf Paasch

„Dichter Nebel über dem Kanal. Kontinent abgeschnitten.“ So lautete bisher das klassische Radiozitat aus den 30er Jahren zur Illustration der Insularität Großbritanniens. Doch mittlerweile wird nicht nur feste am Kanaltunnel gebuddelt; der britische Verteidigungsminister George Younger jettet in diesen Tagen auch immer häufiger nach Paris, um dort mit seinem französischen Amtskollegen Andre Giraud Möglichkeiten der Rüstungskooperation auszuloten. Seitdem die Unterzeichnung des INF–Abkommens zwischen den beiden Supermächten zu erwarten ist, ist Großbritannien dem Kontinent ein gutes Stück nähergerückt. Als US–Präsident Reagan unlängst gar seine Verhandlungsbereitschaft über eine Reduktion der strategischen Arsenale signalisierte, sprach der mittlerweile geschaßte Chef der britischen Sozialdemokraten, David Owen, von einem „Affront gegen Frankreich und Großbritannien“. Erzürnt darüber, daß Ronald weder Maggie noch Mitterrand vorher konsultiert hatte, forderte der einflußreiche Vordenker Großbritanniens in Sachen Europa gleich eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen den beiden europäischen Atommächten. Die Briten müßten trotz ihres „besonderen Verhältnisses“ zu den USA ihre eigenen Interessen künftig stärker vertreten; und Westeuropa solle zusammen mit den USA eine Restrukturierung der NATO einlei ten, die Frankreich und Spanien eine vollwertige Teilnahme an den Rüstungsanstrengungen des Bündnisses ermögliche. Absprachen mit Paris Doch während dieses akademische Szenario noch Zukunftsmusik ist, haben Paris und London längst Gespräche über eine konkrete militärische Zusammenarbeit begonnen, wie sie vor wenigen Jahren noch undenkbar waren. Da beide Länder auch in ihren heftigsten Abrüstungsträumen nicht daran denken, ihre unabhängige nukleare Abschreckungsmacht aufzugeben, liegt es auf der Hand, deren Modernisierung aufeinander abzustimmen. Auch gemeinsame Rüstungsprojekte fürs nächste Jahrtausend stehen plötzlich zur Diskussion. Erstes Ergebnis dieser Gespräche dürfte eine Absprache bei den Patrouillen der beiden U–Boot–Flotten sein. Gegenwärtig wissen weder französische noch britische Militärs, wieviele der befreundeten Atom–U–Boote wann und wo im Atlantik herumschwimmen. Aber auch im Bereich der Rüstungstechnologie würde ein Abrüstungsdeal neue Möglichkeiten der Zusammenarbeit eröffnen. Großbritannien, dessen einzige taktische Atomwaffe, die in der BRD stationierten WE 177–Bomben, längst veraltet ist, hat Interesse an den französischen, luftgestützten ASMP–Raketen bekundet. Der mögliche Abzug der amerikanischen Marschflugkörper, so der Verteidigungsexperte des Londoner Independent, Mark Urban, habe den in den britischen Streitkräften schon lange gehegten Modernisierungsplänen für die taktischen Atomwaffen neuen Auftrieb gegeben. Fraglich, so Urban, „ist nur noch die Reichweite der neuen Raketen“. Während die Errichtung der militärischen Achse Bonn–Paris auf dem Kontinent mit (Staatsbesuchs–)Pauken und (Manöver– )Fanfaren gefeiert wird, entwickelt sich die Achse London–Paris so in aller Stille entlang pragmatischerer Linien. Und die Achse Bonn–London? Die, so meinen Beobachter, sei durch die beidseitige NATO–Mitgliedschaft und die Stationierung der Rheinarmee über Jahrzehnte so selbstverständlich gewachsen, daß sie keiner Erwähnung mehr bedürfe. Die Errichtung eines neuen europäischen Rüstungsdreiecks hat jedenfalls schon begonnen, noch ehe die Supermächte ihre Unterschrift unter die doppelte Null–Lösung gesetzt haben.