Ob sozialistische oder kapitalistische Schuhe ...

■ Auf dem XIII. Parteitag der größten kommunistischen Partei der Welt wurde den Reformern um den halb–pensionierten starken Mann Chinas, Deng Xiaoping, geradezu ein Blankoscheck ausgestellt / Trotz Problemen herrschen Wirtschafts– und Reformoptimismus vor

Von Jürgen Kremb

Berlin (taz) - Selten zuvor war ein Parteitag der kommunistischen Partei Chinas so reich an Premieren wie dieser XIII., der am gestrigen Sonntag in der Beijinger Halle des Volkes zu Ende ging. Erstmals bestimmten die 1936 Abgeordneten in geheimer Wahl die Mitglieder des Zentralkomitees, das den Parteitag zwischen dessen fünfjährigen Sitzungsintervallen repräsentiert. Dabei standen für jeden Sitz in dem 177köpfigen Gremium sogar mehrere Kandidaten zur Verfügung. Ausländische Beobachter analysierten ferner, daß noch nie in der 38jährigen Geschichte der KPCh auf einem Parteitag so offen diskutiert wurde und Entscheidungen so transparent nach außen getragen werden konnten. Wenn auch scheibchenweise, so sickerten doch ständig Informationen aus dem Inneren des Sitzungssaals nach außen. Allein aus dem westlichen Ausland waren 300 Journalisten angereist, einer sogar aus Taiwan. Doch für eine besondere Premiere sorgte eine 37jährige Frau unter den meist greisen männlichen Delegierten. Als eine der führenden Kapitalistinnen des Landes konnte die frühere Bäuerin Guan Guangmei über ihre erfolgreichen, aber ganz und gar unsozialistischen Management–Methoden berichten. Premiere einer Vorzeige–Kapitalistin Die Frau aus der nordöstlichen Liaoning–Provinz hatte vor geraumer Zeit gleich eine ganze staatliche Lebensmittel–Kette in der Stadt Benxi aufgekauft und verdient heute das 20fache ihrer Angestellten. Den Streit zwischen Reformkräften und Vertretern einer eher gemäßigten Westöffnung mit staatlicher Planung und zahlreichen Kontrollmechanismen, der über ihr Referat ausbrach, halte sie „für absurd“, erklärte Guan Guangmei gegenüber Reportern. „Das ist genauso, wie wenn Sie jemand fragt, ob Sie sozialistische oder kapitalistische Schuhe tragen.“ Ungewollt schien sie damit den schlüssigsten Slogan für den XIII. Parteitag geliefert zu haben. Überraschend vehement sprach sich die Mehrheit der Versammelten für einen ungebrochen Fortgang der Wirtschaftsre–form und der Westöffnung im Sinne von Chinas Reform–Architekten Deng Xiaoping und Zhao Ziyang aus, der als Premier seit Anfang Januar auch die Amtsgeschäfte des gestürzten KP–General–Sekretärs Hu Yaobang kommissa risch geleitet hatte. Daß Deng Xiaoping auf diesem Parteitag nicht mehr für die Wahl ins ZK zur Verfügung stand und er somit in eine „halbe Pensionierung“ geht, wie er vor wenigen Wochen selbst betonte, tut seinem Reformwerk keinen Abbruch. Im Gegenteil: Mit seinem Rückzug auf das Altenteil zwang er seine konservati ven Gegner, sich aus der ersten Etage der Macht zu verabschieden. Ferner entspricht es einem langgehegten Ziel Dengs, die KP zu verjüngen und Fachkräfte in entscheidende Positionen zu befördern. Deng dazu vor wenigen Wochen: „Alte Männer wie ich sollten aus dem Politbüro ausscheiden.“ Lebhaft wie nie zuvor in einer Zusammenkunft der mit 46 Millionen Mitgliedern größten KP des Erdballs wurde über Wettbewerb, Profit, freie Anstellung von Arbeitskräften und Landverkauf an Ausländer debattiert. Der amtierende KP–Chef Zhao kündigte in seinem Rechenschaftsbericht ferner die Gründung einer weiteren Wirtschafts– Sonderzone auf der tropischen Insel Hainan im südchinesischen Meer an. Die Insel, in deren Nähe auch zahlreiche Erdöl und Erdgasvorkommen vermutet werden, solle zu einer Art „chinesischem Hawaii“ für Hongkonger und westliche Touristen ausgebaut werden, vermuten ausländische Beobachter. Zhao Ziyang, der seine Amtsgeschäfte als Premier offenbar noch bis zum Volkskongreß im März weiter leiten wird, kündigte ferner am Rande des Kongresses an, daß der Anteil der Staatsbetriebe und der Planwirtschaft an der Gesamtproduktion in den nächsten Jahren auf einen Anteil von nur noch 30 Prozent gedrosselt werden solle. Passender Überbau Auch ideologisch unternahm der Parteitag einen Riesenschritt, um das Dengsche Reformwerk abzu runden. Zehn Jahre, nachdem die Westöffnung von Chinas starkem Mann Deng Xiaoping unter der vagen Definition „einen Sozialismus chinesischer Prägung schaffen“ und dem Begriff der „sozialistischen Warenwirtschaft“ ins Leben gerufen worden war, definierte der Parteitag jetzt den ideologischen Überbau der chinesi schen Reform. China befinde sich in einem Anfangsstadium des Sozialismus, in dem verschiedene Wirtschaftsformen nebeneinander existieren können. Geradezu ein Blankoscheck für die Reformkräfte um Zhao Ziyang, die jetzt in die Fußstapfen des halbwegs pensionierten Deng Xiaoping treten werden. Auch bei der lang angepeilte Trennung von Regierung und Partei, die Deng als vorläufigen Höhepunkt seines Reformwerks betrachtet, wurden Fortschritte erzielt. Dieser glatte Durchmarsch der Reformkräfte auf dem Parteitag kommt gleichfalls für viele Beobachter überraschend. Noch zu Beginn des Jahres hatten die Kräfte um die Deng Xiaoping–Gegner Chen Yun und Peng Zhen mit der Kampagne „gegen bürgerlichen Liberalismus und Verwestlichung“ offensichtlich die Oberhand gewonnen. Mit dem erzwungenen Rücktritt des damaligen Parteichefs Hu Yaobang war nämlich nicht nur einer der wichtigsten Wegbereiter der Reform aus dem Zentrum der Macht geholt worden, sondern einer ganzen Reihe reformfreudiger Kader aus den Reihen der kommunistischen Jugendliga war die Nominierung für den Parteitag versagt worden. Daß sich dieses Gremium jetzt dennoch vehement hinter Deng stellte, darf als weiterer Beweis für dessen ungebrochenes Vertrauen unter den Mitgliedern und Kadern der chinesischen KP angesehen werden. Doch trotz allem nach außen getragenen Wirtschafts– und Reformoptimismus darf nicht vergessen werden, daß der Parteitag in eine für China äußerst ungünstige Phase fällt. Aus Angst vor möglichen Unruhen infolge von Preissteigerungen ist der zentrale Punkt der Reform, die Lohn– und Preisanpassung, seit den Auseinandersetzungen innerhalb der KP im Frühjahr ausgesetzt. Ein anvisiertes Bankrott–Gesetz ist trotz einigem Medienwirbel immer noch auf Eis gelegt. Die Auslandsinvestitionen sind um geschätzte 50 Prozent zurückgegangen und für dieses Jahr wird nicht nur eine schlechte Ernte, sondern auch eine Handelsdefizit erwartet. Mit der Neuwahl eines 177köpfigen Zentralkomitees (bisher 209) schloß der XIII. Parteitag gestern seine Beratungen ab. Besonders bemerkenswert dabei ist, daß zahlreiche prominente Deng– Gegner aus dem konservativen Lager darin nicht mehr zu finden sind. Sie haben sich damit nach Partei–Statut automatisch auch aus dem Politbüro verabschiedet. Für heute wird erwartet, daß das ZK zusammentritt, um diesen Olmyp der Macht zu besetzen. Im fünfköpfigen ständigen Ausschuß des PB sitzen die fünf Herren, die Chinas Geschicke einsam lenken.