„Würden Sie das unterschreiben?“

Die Kunden der Hamburger Edelläden am Jungfernstieg wurden mit einer für sie fremden Welt konfrontiert. „Stellen Sie sich vor“, bat Juso–Vorsitzender Franz Herrmann, „Ihr Nachbar klaut eine Dose Bier und Ihre Wohnung wird deswegen kurze Zeit später geräumt.“ Die anschließende Frage hatte nur noch suggestiven Charakter: „Würden Sie einen solchen Mietvertrag unterschreiben?“ Lachen und Kopfschütteln von den Einkäufern - die Darstellung eines Problembereiches aus dem Vertragsentwurf, den die Hafenstraßen–Bewohner ablehnen, hatte gegriffen. Weniger Zustimmung fanden Parolen, die auf die jüngsten Ereignisse in Kiel und Genf zielten - über eine weiße Badewanne auf schwarzem Tuch und den Schlachtruf „Euch die Wannen, uns die Häuser!“, mochten nur die Demonstranten lachen. An die 8.000 zogen durch die Hamburger Innenstadt und dann nach St. Pauli, die meisten in Leder und viele auch mit Helm und Motorradmaske ausgerüstet. Der Anblick mutete jedoch martialischer an, als die Demonstrantenschar versprach: Bei eisigem Wind hatte sich auch so mancher Juso oder Grün–Alternative die Lederjacke übergezogen. Die Demonstration, darauf hatten sich die 30 aufrufenden Organisationen geeinigt, sollte friedlich verlaufen - ein Grund dafür, daß die Polizei sich im Hintergrund hielt und selbst der mit Seilen abgesicherte „Autonomen– Block“ an diesem Tag nicht ins Spalier genommen wurde. Das änderte sich selbst dann nicht, als am Landgericht verzeinzelt Flaschen und Steine auf eine kleine Polizistengruppe flogen. Von einem ernsteren Zwischenfall haben die meisten nichts mitbekommen: Nachdem ein Anwohner in St. Pauli aus dem vermeintlich sicheren fünften Stock die Demonstranten mit, so ein Polizeisprecher, „unflätigen Worten“ beschimpfte, fühlten sich einige „von dem Gepöbel“ provoziert. Steine flogen (Der Polizeisprecher: „Sportliche Leistung“) auf den Balkon, eine kleine Gruppe stürmte nach oben und trat dem zeternden Demo–Beobachter die Wohnungstür ein. Währenddessen erreichte der Demonstrationszug die umstrittenen Häuser in der Hafenstraße. Auf den Dächern das von anderen Hafenstraßen–Demonstrationen gewohnte Bild: Neben den mit Stacheldrahtrollen versehenen Befestigungen stehen einige Bewohner in NATO–Overall und Sturmhaube, winken und schwenken Fahnen. Leuchtkugeln zischen zur Begrüßung in den trüben Himmel. „Wir kommen, und die Hafenstraße bleibt“, skandieren einige Hundert, und das Zusammengehörigkeitsgefühl vieler von denen auf der Straße und den Bewohnern auf den Dächern wird spürbar. Und das, obwohl einige Demonstranten, die sich gleichfalls den Autonomen zurechnen, befremdet sind von dem „Macho– Gehabe“ und dem „Revolutions– Mythos“, der sich an diesem Samstagnachmittag am Hafenrand offenbart. Am Rande der Abschlußkundgebung, auf der alle Redner und Rednerinnen wie zuvor ihre Solidarität mit den Bewohnern ausdrücken, erleben die Demonstranten eine Premiere: „Radio Hafenstraße“ geht zum ersten Mal auf Sendung, schräge Punk–Töne und einige Grußadressen an die Demonstration bilden das Programm. Auf 96,8 Megahertz ist damit seit langer Zeit zum ersten Mal wieder ein Privatsender in Hamburg zu hören, der über keine Lizenz verfügt. Der sich auflösenden Demonstration gibt ein Sprecher der Hafenstraßenbewohner dann noch mit auf den Weg, warum es an diesem Tag und in der nächsten Zeit geht: „Wir wollen keine militärische Auseinandersetzung, die wir nicht gewinnen können. Wir wollen in den Häusern wohnen bleiben.“ Dieses Ziel wollen die Bewohner von jetzt ab mit Transparenz erreichen. Jeden Tag sollen Veranstaltungen und Diskussionen in der Hafenstraße stattfinden - eingeladen sind alle, „die Bock auf uns haben“. Die Bewohner wissen, worum es geht: Eine breite Unterstützung auch in anderen linken und liberalen Kreisen hat bereits im vergangenen Jahr eine Räumung der Häuser am Hafenrand verhindert. Bürgermeister Klaus von Dohnanyi hatte den von ihm vorgelegten Vertrag als letztes Angebot für eine friedliche Lösung bezeichnet. Die Hamburger Jungsozialisten forderten ihn zu neuen Verhandlungen auf. Axel Kintzinger