Börsenkrach aus den Prognosen der Forscher ausgeklammert

■ Herbstgutachten der Wirtschaftsinstitute vorgelegt / Oppositionssprecher Roth hat es schon „vergessen“

Von Ulli Kulke

Berlin (taz) - Der erfahrene Bauer lehrt uns: „Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder es bleibt wie es ist.“ Mit einem Satz von ähnlicher Aussagekraft versuchten jetzt die fünf führenden Wirtschaftsforschungsinstitute, ihr Herbst–Konjunkturgutachten, für das sie seit Monaten rechneten, fortschrieben und analysierten, über die turbulenten Börsenwochen zu retten: „Wären die Kursstürze Vorboten oder Auslöser einer weltwirtschaftlichen Rezession, so könnte sich auch die Bundesrepublik einem solchen Einbruch nicht entziehen“, wie wahr! Der Einfachheit halber geht man aber in den Prognosen davon aus, daß eine „akute Gefahr“ nicht bestünde, ein wissenschaftlich–methodisch erlaubter Kunstgriff. Die fünf Wirtschafts–Denkhäuser, das Institut für Weltwirtschaft (Universität Kiel), das Ifo–Institut (München), das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW, Berlin), das HWWA–Institut für Wirtschaftsforschung (Hamburg) und das Rheinisch–Westfälische Institut für ebendasselbe (RWI) sagen deshalb für das Jahr 1988 frohgemut ein Wachstum des Bruttosozialproduktes von zwei Prozent (die Bundesregierung rechnet mit 2,5 Prozent), die gleichzeitige Zunahme von Arbeitsplätzen und -losen (letzteres um 40.000, wegen der wachsenden Zahl Erwerbsfähiger) und das Anwachsen des privaten Verbrauchs um drei sowie des Exports um 3,5 Prozent voraus. Die Inflationsrate werde von 0,5 auf zwei Prozent steigen. Als Träger des Wachstums wird nach Ansicht der Institute einmal mehr der Export in den Vordergrund rücken, nachdem im laufenden Jahr eine gestiegene Binnennachfrage die Konjunktur gestützt hatte. 1987 beträgt das Wirtschaftswachstum 1,75 Prozent, nach anfänglich abenteuerlichen Schätzungen der Regierung von drei Prozent. Ungeachtet des Protestes auch aus der etablierten Wirtschaftswissenschaft gegen die geplante Einführung des Quellenabzugsverfahrens auf Zinseinkünfte sprechen die Institute hier eher von „fehlender Konsequenz“. Der geplante Satz von zehn Pro zent sei zu niedrig, um die angepeilten zusätzlichen Steuereinkünfte zu erzielen. Kritisiert wird außerdem die Lohnentwicklung, hier insbesondere zu starke Anhebungen in Krisenbereichen wie der Werftbranche. Von dieser Wertung grenzt sich allerdings das traditionell sozialdemokratisch orientierte Berliner DIW in einem ebenso traditionellen Minderheitenvotum ab. Der wirtschaftspolitische Sprecher der SPD–Bundestagsfraktion Wolfgang Roth hat das Gutachten schon wieder „vergessen“ und regt an, es ihm nachzutun: Zwei Wochen Börsen–Chaos haben seiner Ansicht nach die Aussichten der Wirtschaft verändert. Wenn die Bundesregierung dennoch meine, das Gutachten bestätige ihren wirtschaftspolitischen Kurs, dann dokumentiere sie nur, daß sie weder zu weltwirtschaftlichen noch politischen Einsichten und schon garnicht zu verantwortungsvollem Handeln fähig sei. Roth hatte in den vergangenen Monaten stets Regierung und Bundesbank im Verein mit Washington zu Ankurbelungsmaßnahmen aufgefordert, um eine Rezession zu verhindern. Der neue Wirtschaftsnobelpreisträger Robert Solow sagte am Wochenende Katastrophales als Folge des Börsenkurssturzes voraus: „Die Rezession wird vielleicht schwerer sein und eher kommen als die vorherigen.“ Solow kritisierte vor allem die US–Regierung wegen ihrer zinstreibenden Haushaltsverschuldung. Das Wirtschafts– und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) des DGB hatte bereits am Freitag sein Herbstgutachten vorgelegt mit der Prognose eines noch geringeren Wachstums: 1,6 Prozent. Auch die offizielle Wachstumszahl für 1987 wird angezweifelt. Mach Ansicht des WSI sind hier nur 1,5 Prozent zu registrieren. Der private Verbrauch nehme im laufenden Jahr nur noch um 2,7 und 1988 um ganze zwei Prozent ansteigen. Für Mitte November wird die Vorlage des Jahresgutachtens des Sachverständigenrates zur Begutachtung der wirtschaftlichen Lage erwartet.