Mit der Börse auf Du und Du
: Selters für Yuppies

■ Wie wirkt sich der Börsenkrach auf die Wirtschaftsentwicklung aus?

Die im Gefolge des Börsenkrachs vom Oktober 1987 weithin gestellte Frage, ob und gegebenenfalls wie der Aktienkursverfall die Wirtschaft beeinflußt, ist ein zwingendes Argument für die Einführung des Fachs Wirtschaftslehre bereits an der Grundschule. Betrachten wir zunächst ein paar Zahlen: Der Kurswert der deutschen Aktien ist von seinem vorläufigen Höchststand im April 1986 um rund 190 Milliarden DM gefallen. Dies entspricht fast der Hälfte des im zweiten Quartal dieses Jahres erwirtschafteten Volkseinkommens, fast zwei Drittel des im zweiten Quartal des Jahres verfügbaren Einkommens und etwa dem 14fachen der monatlichen privaten Ersparnis. Obwohl die deutschen Haushalte nur sieben Prozent ihres Vermögens in Aktien halten, muß ein Vermögensrückgang von 190 Milliarden DM das Verhalten von Verbrauchern und Unternehmern in mehrfacher Weise beeinflussen. Beim Verbraucher gilt es, nach der Betroffenheit drei Gruppen zu unterscheiden. Jene, welche in den letzten Monaten ihre Aktienbestände mit Kredit finanziert haben; jene, die nicht rechtzeitig verkauft haben und jetzt auf Buchverlusten sitzen; und jene, die gar keine Aktien haben. Erstere sind im schlimmsten Fall zahlungsunfähig geworden beziehungsweise müssen auf Jahre hinaus ihre Bankkredite zurückbezahlen, sie müssen ihren Konsum im weitesten Sinne drastisch einschränken. Wer aus der zweiten Gruppe mit einem Aktienpaket von 100.000 DM im Rücken an ein Umsteigen von Ford auf Mercedes gedacht hat, wird mit Aktien, die jetzt nur noch 70.000 DM wert sind und deren Kurse weiter fallen, jetzt eher einen Golf oder einen Polo in Erwägung ziehen. Die dritte Gruppe schließlich, wahrscheinlich aus unteren Einkommensschichten mit wenig Einsicht in die Zusammenhänge, fühlt sich in jedem Fall verunsichert und wird daher auch weniger verbrauchen und mehr sparen. Bei den Unternehmen kommen zwei Faktoren zum Zuge. Die Eigenkapitalfinanzierung von Investitionen über die Plazierung junger Aktien an der Börse hat sich in den letzten Monaten um rund 30 Prozent verteuert, weil die Anleger für junge Aktien weniger zu zahlen bereit sind. Gleichzeitig verschlechtern sich vor allem bei Herstellern von Luxusgütern die Absatzaussichten, das heißt, Investitionen werden zurückgestellt oder ganz gestrichen. Wenn somit klar sein dürfte, daß der private Verbrauch einerseits und die Investitionstätigkeit der Unternehmer andererseits schrumpfen werden, hängt das Ausmaß der Schrumpfung von zwei weiteren Faktoren ab, die leider nur schlecht quantifizierbar sind. Der noch bis vor kurzem erfolgreiche Yuppie mit Porsche, Zweitwohnsitz an der Küste und Hummer mit Champagner im Savoy muß jetzt zum Abdecken seiner Schulden den Porsche und den Zweitwohnsitz veräußern und sein Mittagessen auf Suppe mit Selters umstellen. Dies führt zu Gewinnrückgang bei Porsche, Preisverfall bei Zweitwohnsitzen und leerem Tisch im Savoy. Das neue Armutserlebis nur einer Bevölkerungsgruppe, nämlich der Aktionäre, führt über diese sogenannten Multiplikatoreffekte zu realen Einkommensverlusten auch bei solchen Leuten, die mit Aktien nichts im Sinn haben. Die Altersversorgung ist in der Bundesrepublik im Gegensatz etwa zu den USA weniger betroffen. Zum einen haben die privaten Pensionsfonds hier nicht diesen Stellenwert, zum anderen ist die Aktienanlage für die Alterssicherung in der Bundesrepublik sowohl bei den Rentenversicherungen als auch bei der Betriebsrente sehr begrenzt. Solange Einkommensverluste nur wenige betreffen, sind sie volkswirtschaftlich kaum relevant und werden vom Einzelnen auch besonnen weggesteckt. Betreffen Einkommens– und Vermögensverluste jedoch einen breiteren Bevölkerungskreis mit hohen Konsumausgaben, kommen sie wie der Blitz aus heiterem Himmel und verteilen sich rund um den Globus, so kann es zu psychologischen Überreaktionen und damit tatsächlich einer weltweiten Wirtschaftskrise kommen. Insofern warnen wir davor, den Aktienkrach zu verniedlichen. Heinz L. Poulev Heinz L. Poulev, Chef der Depot–Management–Beratung in Frankfurt, beleuchtet für die taz die Börsenszene der Turbulenzzeit.