„Oh, alte Kaderherrlichkeit“

■ SDS–Revival–Treffen / Vor zwanzig Jahren gewählt: der erste linke Asta / Was sie wollten und warum daraus nichts wurde

Aus Bonn Oliver Tolmein

Das ist das Schönste an Revolutionen, die weitab von zu Hause stattgefunden haben: sie produzieren die Konsumgüter, mit denen man sich hierzulande darüber hinwegtrösten kann, daß man es selber doch nur zu einem linken Asta gebracht hat. Und indem man sie kauft, kann man gleichzeitig dieses intensive Gefühl von „antiimperialistischem Kampf, internationaler Solidarität und du bist dabei“ in sich wachsen lassen. Als also am Samstag VeteranInnen des ersten linken Astas, der getreu Lenins Theorie vom möglichen Erfolg der Revolution am „schwächsten Glied“, ausgerechnet im drögen Bonn 1967 gewählt wurde, sich in der Bundeshauptstadt treffen, gehen Nicaragua– Kaffee und Kuba–Rum am Büchertisch bestens. Ansonsten allerdings gibt es in der neuen Mensa der Pädagogischen Hochschule wenig Hochprozentiges und Aufputschendes. „Zwanzig Jahre studentische Unruhe“ heißt das Thema, an dem sich eine achtköpfige Podiumsrunde zusammen mit knapp 100 Neugierigen abarbeitet. Aber plausibel ist nach dreistündiger Diskussion eher die Unruhe im viel zu großen Mensaraum: die Kinderbetreuung, groß angekündigt, ist nämlich ausgefallen und die lieben Kleinen langweilen sich, als zum x–ten Mal ein Selbsterfahrungsbericht ansteht: „Ich heiße Anna und bin Ortsvorsit zende des MSB Spartakus ...“. Was die Bedingungen linker Politik 1966/67 waren, wie sie im Vergleich dazu heute sind, ob es schon eine Studentenbewegung ist, wenn Zehntausende für mehr Bafög auf die Straße gehen, oder ob die Kämpfe auch den nicht–universitären Kampf einschließen müssen - dazu verlieren weder PodiumsteilnehmerInnen noch die im Raum verteilten neuen und ehemaligen StudentInnen ein Wort. Stattdessen geht es erstmal lange um: wie wurde ich politisch und wie gehts mir heute. Heute, um damit anzufangen, scheints den meisten gut zu gehen und sie machen sich keineswegs mehr oder bessere Gedanken als damals. Claus Proft z.B., ehemals Assoziation marxistischer Studenten, heute DKP–Kreisvorsitzender, berichtet lange, wie er 1968 Anhänger des real existierenden Sozialismus wurde: in Niederpleis hat er gewohnt, und als die Panzer des Warschauer Paktes in der CSSR einrollten, fuhren Lautsprecherwagen des RCDS durch Niederpleis: „Und ich habe mir gedacht, wenn diese Feinde der Freiheit hier so masiv Propaganda machen ...“ Ein dummes Wort des RCDS und schon ist man DKPist? Aber so massiv das Spektrum der „demokratischen Studentenbewegung“ (Einladungstext) von SHB bis MSB auch auf dem Podium und im Zuschauerraum vertreten war, es sind nicht die einzigen, die ihre Geschichte im Rückblick unselbstkritisch und unreflektiert nacherzählen. Hans Weingartz, heute Grüner, früher im SDS, dann in den Roten Zellen und in den späteren Siebzigern mit einer eigenen K–Gruppe dem in Bonn sehr starken KBW ein bißchen Konkurrenz machend, fragt zwar kurz, „ob unser Kampf sehr viel gebracht hat“ aber hält sich dann bei diesem unerfreulichen Thema nicht weiter auf, sondern kommt schnell auf autobiografische Döntjes: „wie wir damals und was dann ...“. Imma Hillerich, ebenfalls Grüne und an der Bonner Uni 1972/73 in den Institutsgruppen, gesteht wenigstens ein, daß die eigene politische Arbeit damals kaum mehr als „Bildungsarbeit“ war: wie sie aber aus Kapital– Studium und Lektüre von Marx Deutscher Ideologie ihren Weg zu den Grünen und in den Bundestag gefunden hat, verrät sie auch nicht. Da wirkt Karl Heinz Roth, der im Sommersemester 1966 kurz in Bonn Station machte und dem bei den heutigen Studenten „ganz banal der Glasbruch fehlt“, wie ein Fremdkörper. Sein Plädoyer gegen die Nüchternheit und Realitätstüchtigkeit, die den Alltag an den Unis heute prägt, sein Verweis auf die existentielle Revolte derjenigen, die in den Sechzigern gegen die Kontinuität des deutschen Nazismus in der BRD ankämpften, wird zwar als einziger Podiumsbeitrag mit Applaus bedacht, zieht aber keine Folgen nach sich. Die wenigen Studenten der heutigen Uni Bonn, die gekommen sind, behaupten, so als wäre das nicht gesagt worden, eine andere Kontinuität: „Die Studentenbewegung von einst lebt in der heutigen fort“. Und das wollen sie sich, unterstützt von den ehemaligen SHBlern und MSBlern, schon gar nicht von den damals Studentenbewegten ausreden lassen. Die Diskussion gleitet ins Absurde: bundesweite Aktionen von heute werden gegen Demonstrationen von einst aufgerechnet. Als dann ein ehemaliges Mitglied der Institutsgruppen aus dem Publikum den Podiusmteilnehmern vorwirft, die ideologischen Differenzen, die damals das „Feuer der Revolte zündeten“, zu verschweigen, unehrlich mit der eigenen Geschichte und deren Brüchen umzugehen und außer Acht zu lassen, daß die Studentenbewegung die Neu–Formierung dieser Gesellschaft mitgetragen hat, wird nochmal etwas Unruhe laut. Die Provokation ist gut gezielt, aber die Getroffenen schweigen. Die heutige Vorsitzende des Bonner Astas, Mitglied der Juso–Hochschulgruppen, klagt, wie schwer Unipolitik zu betreiben sei, wenn gerade mal 23 an den Asta–Wahlen beteiligten. Der SDS hatte 1966 lediglich 15 Mitglieder, 1967 waren es noch keine 40.