Der Wald stirbt stabil weiter

■ Einen Tag vor der offiziellen Vorstellung des Waldschadensberichts durch Landwirtschaftminister Kiechle zeigt eine alternative Studie: Der Wald stirbt einsam weiter / 52

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Der Wald hustet weiter, auch wenn niemand mehr hinhört. Den Nadelbäumen geht es witterungsbedingt ein bißchen besser, während die Läubbäume in erhöhtem Tempo dahinsiechen. Das Wald– Krankenblatt 1987, von den Grünen gestern vorab veröffentlicht, verzeichnet einen grandiosen Rückgang der Schäden um 1,4 Prozent: Damit sind jetzt „nur“ noch über 52 Prozent der Bäume krank. Bei der morgigen offiziellen Vorstellung des Waldschadensberichts wird sich zeigen, ob Minister Kiechle den Schneid hat, diese Stabilisierung der ökologischen Katastrophe als Erfolg zu feiern. Wie wenig Töpfers Umweltpolitik geeignet ist, dem Verfall der Wälder Einhalt zu gebieten, zeigt eine gestern veröffentlichte Un tersuchung des Heidelberger „Umwelt– und Prognose–Instituts“: Wäre 1985 ein Tempolimit eingeführt worden, hätten damit sechs mal mehr Stickoxid–Emmissionen verhindert werden können, als durch Töpfers Katalysator–Politik. Stickoxide sind die Hauptursache des Waldsterbens außerhalb der Ballungsgebiete. Bei heute gerade drei Prozent PKWs mit geregeltem Katalysator sei die Abgasentgiftung im Verkehr völlig gescheitert: Der Stickoxid–Ausstoß durch den Verkehr werde mit 1,8 Millionen Tonnen in diesem Jahr so hoch wie nie zuvor sein. Zwar stoßen die Schornsteine von Kraftwerken und Industrie jetzt weniger Schadstoffe aus, doch wenn im Verkehr als Hauptquelle des Stickoxids keine drastischeren Maßnahmen ergriffen werden, wird das Waldsterben nach einer Langzeit–Studie der Prognose–Wissenschaftler bis zum Jahr 2000 unvermindert weitergehen. Die Folgen: Überschwemmungskatastrophen, Erosionen, Verseuchung des Grundwassers und ein Absterben der vom Wald abhängigen Flora und Fauna. In den nächsten 13 Jahren werden drei Zentner Schwefeldioxid und Stickoxid pro Kopf der BundesbürgerInnen unnötigerweise niedergehen - denn diese Menge könnte durch technisch mögliche und wirtschaftlich vertretbare Eingriffe verhindert werden. Im einzelnen zeigt die Waldschadensbilanz zwei gegenläufige Trends: Die regenreiche Witterung der letzten beiden Jahre hat im nadelwaldreichen Süden der Republik zu einer Erholung der Fichte geführt. Das Sterben der Läubwälder hat dagegen trotz der günstigen Witterung zugenommen: So sind gegenüber dem Vorjahr jetzt 12 Prozent mehr Buchen krank. Beide Trends addieren sich zur leichten statistischen Verbesserung im Gesamtbild und verdecken damit das ökologische Desaster in einzelnen Bundesländern wie zum Beispiel NRW. Für die Grünen sind die neuen Wald–Zahlen Anlaß, ein Bündel emissionsmindernder Maßnahmen zu fordern: Tempolimit,verbindliche Einführung des Drei– Wege–Katalysators für alle Neuwagen, Anwendung der strengen US–Grenzwerte für Diesel–Pkws und LKWs, Verlagerung des Güterfernverkehrs auf die Schiene, Förderung des öffentlichen Personen–Nahverkehrs sowie Entschwefelungs– und Energiesparprogramme. Der grüne Forstexperte Wilhelm Knabe: „Vor allem der Güterverkehr muß ganz anders herangenommen werden“.