Politisieren im geschäftigen Vakuum

■ Über die politische Befindlichkeit der grünen Fraktion in Bonn / Statt Strategiediskussion zu führen oder gar politische Offensiven zu starten, scheinen die Grünen derzeit ihre Energie in tagesaktueller Fleißarbeit und perspektivlosenFlügelkämpfen zu binden / Eine Spirale von Bedeutungs– und Qualitätsverlusten kündigt sich an

Aus Bonn Ursel Sieber

Nach neun Monaten ist die grüne Fraktion in Bonn ohne politische Initiative. In einem Klima ständiger Unterstellungen rührt jeder und jede im eigenen Topf. Nach außen dringt fast nur noch ein interner Hick–Hack, der mit politischen Gegensätzen allein gar nicht mehr erklärt werden kann. Der Abgeordnete Volmer hat die Etagen im Hochhaus Tulpenfeld einmal sehr treffend als „Anlage zur Selbstkompensierung“ beschrieben. Die Zahl der Abgeordneten ist zwar gewachsen und mit ihnen auch der Apparat. Unterm Strich kommt jedoch weniger heraus. Dabei ist diese Fraktion keineswegs fauler geworden; ganz im Gegenteil: Bienenfleißig produzieren die meisten Abgeordnetenbüros Anträge, Gesetzentwürfe, Anfragen am laufenden Band, ohne innezuhalten und darüber nachzudenken, wie sinnvoll Hundertausende Fitzelinitiativen für die grüne Opposition im Parlament eigentlich sind. Bei dem Abgeordneten Gerald Häfner zum Beispiel ist wohl der Glaube an das Parlament aus dem Schulbuch, wo die Abgeordneten sich von den besten Argumenten überzeugen lassen, die treibende Kraft. Bei anderen mag eine Rolle spielen, für den Tag der Regierungsübernahme mit Gesetzesvorlagen in allen Bereichen gewappnet zu sein. So hat sich grüne Politik in Bonn auf tagesaktuelle Kleckerlespolitik reduziert. In dieser ganzen Papierflut ragen höchsten ein paar Stilblüten heraus, wie die Pressemitteilung Nr. 808/87 mit der Überschrift: „Grüne fordern Richtlinien für den Pausenverkauf“. Ober die kleine Anfrage zur „Einführung der gleisbogenabhängigen Wagenkastensteu erung auf den Strecken der Bundesbahn“. Die Verbindung von Partei– und Parlamentsarbeit ist blockiert; die Frage, wie gesellschaftliche Debatten initiiert werden könnten, wird höchstens in privaten Gesprächen gestellt. Früher hat die grüne Fraktion oft Aufsehen erregt durch Politik im Stil von Provokation. Von der Mehrheit dieser Fraktion scheint das inzwischen gar nicht mehr gewollt. Die Tendenz ist, Frechheit gegen Reputierlichkeit zu tauschen.So werden bestimmte Themen angefaßt wie heiße Eisen: Als der Paragraph 129 a zum ersten Mal auf ein Buch angewandt wurde und die vom Malik–Verlag veröffentlichten Dokumente der RAF beschlagnahmt wurden, alarmierte das auf der Buchmesse Verlage von rotbuch bis rororo. Die Grünen in Bonn haben schließlich eine Aktuelle Stunde zu den Menschenrechtsverletzungen in Tibet beantragt. Eine gemeinsame Aufbruchstimmung hat es in dieser Fraktion nie gegeben. Die real politische Mehrheit im Vorstand hat selten versucht, integrierend zu wirken, sondern hat mit strömungspolitisch ausgerichteten Pressekonferenzen immer wieder polarisiert. Freilich sind sich auch die Vorstands–Realos untereinander nicht grün. Über die drei „neuen“ Realos im Vorstand sagen die „alten“, sie hätten wenig Verantwortungsgefühl und würden vornehmlich an die Fernsehkameras denken. In einigen Bereichen ist es gewiß der Flügelkampf, der politische Initiativen blockiert. Der Strömungsstreit kostet heute, so sagen alle, 80 Prozent der Energie. Der Streit um Koalition oder Tolerierung sei im Grunde im Sinne der Realos entschieden, und jetzt müsse „die Debatte um den Preis“ geführt werden, so Hubert Kleinert. Und Udo Knapp betont, die Realos könnten „in der jetzigen Situation gar nichts anderes machen, als das Programm zu bereinigen“. Freilich hat bisher jeder Versuch, die Forderungen zu korrigieren, innerparteilich so viel Streit eingebracht, daß die Attraktivität der Grünen für andere Wählerschichten wohl kaum gewachsen sein dürfte. Die Ökosozialisten der Fraktion sehen darin die Hauptursache für den Zustand der Fraktion: „Das schwächt und lähmt“, so Regula Bott, „eine politische Offensive der Grünen wird in diesem Gegeneinander erstickt.“ Richtig ist zwar, daß die Ökosozialisten sich „loyaler“ verhalten haben als die Realos, wie Regula Bott betont. Aber bis auf die Forderung, den Atomwaffenverzicht ins Grundgesetz aufzunehmen, haben sie an Initiativen, die die gesamte Fraktion in die Pflicht nehmen könnten, nichts auf die Beine gestellt. Zur Zeit schafft es fast nur Antje Vollmer, politische Akzente zu setzen. Doch der Richtungsstreit mag nicht alles erklären. Denn selbst dort, wo es noch strömungsübergreifende Zustimmung gibt, werden Chancen vertan. Das beste Beispiel bietet die Amnestiekampagne: Jetzt heißt es, Jutta Ditfurth habe die Initiative kaputtgemacht. Das verdeckt allerdings, wie feige und zaghaft die grüne Fraktion mit dem Thema Amnestie umgeht; wie langweilig die Terrorismus– Debatte im Bundestag geriet, weil sich die wenigsten trauten, unter surrenden Fernsehkameras die Kontroversen anzusprechen. Konkurrenz wird großgeschrieben im Hochhaus Tulpenfeld. Die meisten zogen sich von Anfang an auf ihre Büros wie auf kleine Vorgärten zurück, haben sich ein Arbeitsgebiet ergattert, setzen sich drauf und gehen „möglichst mit dem Arsch nicht mehr runter“, wie Verena Krieger meint. Selbst um die Erstellung von kleinen Anfragen und Pressemitteilungen scheint es einen Wettlauf zwischen den Büros zu geben. MitarbeiterInnen, die schon länger dabei sind, sagen, daß bei den Abgeordneten die Tendenz, „hemmungslos abzusahnen“, sehr viel stärker geworden sei. Gleichzeitig sind es nicht viele Abgeordnete, von denen man „große Würfe“ erwarten darf. Das Hinterbänklertum ist in dieser Fraktion sehr viel ausgeprägter als in der letzten: Die Distanzierung von Jutta Ditfurth, einen Tag nach den Distanzierungsrufen der anderen Parteien im Bundestag, haben (neben dem harten Kern der Realos) vielleicht nicht zufällig diejenigen betrieben, die wie Trude Unruh, Dora Flinner, Charlotte Garbe oft als „Kleinaktionäre“ belächelt werden. Ein Teil der Fraktion ist u.a. der RAF– Debatte weder persönlich noch politisch gewachsen. Viele sagen (wollen aber nicht zitiert werden), daß ein Teil der Abgeordneten beider Flügel überfordert seien und es deshalb nötig hätten, sich „an der allgemeinen Beißerei am Fleischtopf“ (ein Mitarbeiter) zu beteiligen: Unsicherheit schlage oft um in Aggressivität und in eine Mischung aus gestreßtem Gesichtsausdruck, Blasiertheit und Wichtigtuerei. Abgeordnete wie Hias Kreuzeder oder Lilo Wollny, die Authentizität ausstrahlen, sind rar. In dieser Fraktion gehen sie unter. Das Dilemma wird sein: Je größer der politische Bedeutungsverlust der Grünen, desto weniger qualifizierte Leute werden für die Grünen ins Parlament gehen. Alle Hoffnungen, die mit der Quotierung verbunden waren, haben sich durch die Praxis der Fraktion blamiert. Frechere Zeiten sind in Bonn nicht angebrochen; um Zuhören und Dialog geht es ohnehin nicht. Manche ziehen sich still auf ihr Büro zurück; die meisten sind in den Seilschaften der Strömungs(männer). Trotz Frauenmehrheit zieht eine realpolitische Männerclique die Fäden: Hubert Kleinert, Udo Knapp, Fraktionsgeschäftsführer Vesper unter Beteiligung des Justitiars Uwe Günther und der Vorzeigefrau der Realos, Waltraud Schoppe. Heute sieht es ganz danach aus, als würde dieser Zustand der Fraktion noch eine ganze Weile anhalten. Was fehlt ist die Bereitschaft zu einer Bestandsaufnahme und Reflexion auch der äußeren Bedingungen grüner Politik, etwa das Wiedererstarken der SPD oder daß die anderen Parteien grüne Themen besetzt haben und so den Grünen das Leben schwerer machen. Das ist jedoch nicht in Sicht, vielleicht auch, weil niemand mehr so richtig an Veränderungen glaubt.