Tatwaffe, aber noch keinen Täter

■ Bundesanwaltschaft und Polizei inszenieren Verwirrspiel um Festgenommene und Tatverdächtige

Ging es am Dienstag vor allem noch um die Frage, ob die von der Polizei gefundene Waffe - die vor rund einem Jahr im Umfeld einer ALKEM–Demonstration einem Zivilpolizisten abgenommen worden war - auch die Tatwaffe ist, so konzentrierte sich am Mittwoch das Interesse darauf, ob man mit der Waffe auch den Täter hat. Doch so verschwommen und unpräzise die offiziellen Äußerungen dazu bisher auch sind - daß der Todesschütze aus den Reihen der Startbahngegner kommt, ist mittlerweile unstrittig. Entsprehend heftig wurde am Dienstag abend auf einem Treffen Frankfurter Autonomer diskutiert. „Politische Katastrophe“ war der überwiegende Tenor.

Als Beamte des hessischen Landeskriminalamtes am Dienstag morgen gegen 6 Uhr in die Frankfurter Wohnung der Freundin des Angestellten Andreas Eichler (33) eindrangen, lag das Paar im Bette. An der Wand des Schlafzimmers lehnte ein Rucksack, aus dem die Beamten zwei leere Pistolen–Magazine, Leuchtspur–Munition, ein Gerät zum Abfeuern derselben und das corpus delicti, die Waffe, mit der - und das steht aufgrund der ballistischen und kriminaltechnischen Untersuchungen inzwischen fest - der 44jährige Polizeihauptkommissar Klaus Eichhöfer an der Startbahn erschossen worden war, herausfischten: eine Sig–Saur–Pistole, Kaliber 9 mm, mit insgesamt neun Schuß. Daß Eichler nicht in seiner, sondern in der Wohnung seiner Freundin festgenommen wurde, war den „Schnellschützen“ der Frankfurter Boulevardzeitung Abendpost/Nachtausgabe am Dienstag noch nicht bekannt geworden. Das Blatt hatte in seiner gestrigen Ausgabe noch berichtet: „Frankfurter hatte Mordwaffe in seiner Wohnung.“ Die Verwirrung der Medienschaffenden, die sich offiziell nur auf die Informationen des Pressesprechers der Bundesanwaltschaft stützen können, stieg im Verlauf des Mittwochs ins Grenzenlose. Da vermeldete der Hessische Rundfunk (hr) in seinem ersten Hörfunkprogramm kühn, daß in der Wohnung des verhafteten Eichler insgesamt vier Personen um einen Tisch gesessen und Tee getrunken hätten, weil es draußen im Startbahn– Wald so kalt gewesen sei. Alle vier seien vorläufig festgenommen worden. Verwirrspiel der Bundesanwaltschaft „Alles Quatsch“ meinte dagegen Bundesanwaltschafts–Pressesprecher Prechtel, der allerdings gegenüber der taz auch nicht be stätigen wollte, daß der Verdächtige Eichler in der Wohnung seiner Freundin verhaftet worden sei. Daß Eichler nicht in seiner Wohnung angetroffen worden ist, sei dagegen unstrittig. Prechtels Angebot: Falls wir ihm mehrere Frankfurter Straßen nennen würden, könnte er eventuell bestätigen, daß Eichler in einer der genannten Straßen festgenommen worden sei. Wir lehnten ab. Bestätigen konnte Prechtel, daß sich Eichler - bis auf seine Freundin - alleine in der Wohnung aufgehalten habe, in der er festgenommen wurde. Die anderen drei Personen, die gleichfalls in der Nacht zum Dienstag oder aber noch im Verlauf des Dienstags festgenommen worden waren, seien „an anderen Orten“ aufgegriffen worden. Damit steht bislang fest: In Polizeigewahrsam befinden - oder befanden - sich insgesamt vier Personen: Andreas Eichler, dessen Name die Bundesanwaltschaft auch kurz vor Redaktionsschluß noch nicht bestätigen wollte, ein an seinem Arbeitsplatz festgenommener Frankfurter und eine Frau, die sich inzwischen - so die Informationen der taz - wieder auf freiem Fuß befinden soll. Der vierte Festgenommene ist eigentlich kein Festgenommener. Der Mann, der der taz bekannt ist, wird wegen eines Vorwurfs, der mit den Polizistenmorden im Startbahn–Wald nur mittelbar zu tun hat, seit Dienstag nachmittag festgehalten. Der „Einzelgänger“ Andreas Eichler Jenseits aller anderen Informationen und Spekulationen, mit denen die Frankfurter Redaktion gestern mündlich und fernmündlich, anonym und mit Bekenntnis überschwemmt wurde, scheint festzustehen, daß sich die Fahnder aus dem Landeskriminalamt und die Bundesanwaltschaft auf den festgenommenen Andreas (Andy) Eichler konzentrieren. Eichler, der gegen 16 Uhr noch immer nicht dem Haftrichter vorgeführt worden war, ist den Herren nämlich kein Unbekannter. Der „Einzelgänger“ - so eine Bekannte - war bereits am 9. Oktober 1986, an der deutsch–französischen Grenze in Kehl/Rhein, schon einmal festgenommen worden, da er im Verdacht stand - zusammen mit anderen Personen - einen Strommast bei Hanau umgelegt zu haben. Zusammen mit Eichler wurde seinerzeit ein Mike K. aus Frankfurt festgenommen, der - und das ist die verblüffende Parallele - am Dienstag gleichfalls erneut abgegriffen wurde, diesmal an seinem Arbeitsplatz. Und gleichfalls festgenommen wurde am Dienstag eine Frau, die bei einem anderen Anschlag auf einen Strommast schwer verletzt worden war. „Es gab einen bestimmten Personenkreis, den wir zuerst überprüft haben“, meinte denn auch BAW–Sprecher Prechtel, der im übrigen die ausgezeichnete Vorarbeit der hessischen Polizei lobte, die ihre „Pappenheimer“ genau kenne. Der Fahndungserfolg sei auf diese Vorarbeit zurückzuführen. Anwalt „hochkantig hinausgeworfen“ Die verhaftete Frau befindet sich inzwischen wieder in Freiheit. Mike K. soll dagegen - wie Andreas Eichler - dem Haftrichter vorgeführt werden, obleich er zur Tatzeit nicht am Ort des Geschehens gewesen sei, wie Freunde von K. gegenüber der taz versicherten. K.s Anwalt, der im Frankfurter Polizeipräsidium zu seinem Mandanten vordringen wollte, sei von LKA–Beamten „hochgradig hinausgeworfen“ worden. Wie die Frankfurter Anwältin Wally Verleih gegenüber der taz erklärte, sei es im Großraum Rhein–Main insgesamt zu 48 vorläufigen Festnahmen gekommen. Klaus–Peter Klingelschmitt