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Debatte um gegenseitige Abrüstung

■ Vertreter von Grünen und der Bürgerinitiative Startbahn West stritten um politische Konsequenzen der tödlichen Schüsse / Spirale der beiderseitigen Aufrüstung müsse gestoppt werden

Von Reinhard Mohr

Mörfelden (taz) - Zwischen der grünen Bundestagsfraktion, hessischen Landtagsabgeordneten der Grünen und Mitgliedern der Bürgerinitiative gegen die Startbahn West kam es am Mittwoch nachmittag im Mörfeldener Bürgerhaus zu einer kontroversen Debatte um die politischen Konsequenzen aus den tödlichen Schüssen auf zwei Polizeibeamte. Vor der Presse wurde darum gestritten, ob die nun zu erwartende Repressionswelle des Staates oder die Selbstkritik der Bürgerinitiative und sozialen Bewegung im Vordergrund stehen müßten. Achim Bender, Vertreter des „Autonomen Flügels“ der BI, wandte sich gegen Stigmatisierung jeglicher Art: „Das, was jetzt passiert ist, ist ein extremer, schrecklicher Ausdruck unseres Kampfes. Wir müssen uns der Verantwortung stellen, auch wenn wir nicht abgedrückt haben.“ Nun seien keine ethisch– moralischen Sonntagsreden gefordert, sondern eine Diskussion um beiderseitige Abrüstung. Die sozialen Bewegungen könnten es sich durchaus leisten, ihre militärischen Kategorien zu überdenken und den ersten Schritt zu tun. In dieser Frage stimmte er Joschka Fischer zu, der ausdrücklich dazu aufrief, nun das bei den Grünen als Prinzip verankerte Gebot der Gewaltfreiheit zu achten, was er nicht als Ausgrenzung der Autonomen verstanden wissen wollte, sondern als Diskussionsangebot. Die grüne Vorstandssprecherin Regina Michalik dagegen konzentrierte sich vor allen Dingen auf die nun kommende Repressionswelle und rief dazu auf, sich keine Diskussion über Gewaltfreiheit aufzwingen zu lassen, die von den gewalttätigen Strukturen des Staates ablenken. Es gehe nun nicht um Fensterreden für astreine Gewaltfreiheit, sondern um eine breite Manifestation der Gemeinsamkeit zwischen Autonomen, Linken, Bürgerinitiativen und den Grünen. Eva Quistorp wandte sich energisch gegen das Gerede von der Distanzierung was den Mord an den beiden Polizeibeamten betrifft, die ansonsten aber am Kern des Problems vorbeigingen. Es gäbe solange keine gemeinsamen Ziele mehr, wie nicht die Gemeinsamkeit von Mitteln bei gemeinsamen Aktionen gewährleistet seien. Vertreter der Bürgerinitiativen trugen untereinander den alten Streit darüber aus, wann die Niederlage im Kampf gegen die Startbahn West eingetreten sei und ab welchem Zeitpunkt welche Mittel hätten besser angewandt oder vermieden werden sollen. Insgesamt machte die Diskussion denselben Eindruck wie die Debatten der letzten zwei Tage: Die politische Dimension der Ereignisse von Montag nacht an der Startbahn West ist im Ansatz noch nicht wirklich begriffen. Wenn es ein vorläufiges Fazit aus diesem Zusammentreffen von Grünen und BI–Vertretern gibt, dann dies, und das haben auch Joschka Fischer wie Achim Bender betont: Jetzt muß radikal darüber gestritten werden, ob und wie es gewaltfreie Möglichkeiten und Perspektiven zur Gesellschaftsveränderung gibt, die die Spirale gegenseitiger Aufrüstung stoppen, womöglich umkehren können. Der Frankfurter Polizeipräsident, mit dem die grüne Bundestagsfraktion ein Gespräch vereinbart hatte, sagte kurzfristig ab mit der Begründung, die Haltung der Grünen zur Gewalt sei ungeklärt, und ein solches Gespräch könne gegenwärtig den Polizeibeamten nicht vermittelt werden.

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