Die private Konkurrenz der Drogenfahnder

■ In Neapel lassen betuchte Eltern ihre Kinder inzwischen durch hochbezahlte Privatdetektive vor den Drogendealern schützen / Harte Konkurrenz zur staatlichen Drogenfahndung / Das Geschäft lockt auch schon die Camorra an

Aus Neapel Werner Raith

Die Griffe sind geübt und wirkungsvoll - ein harter Rempler in den Rücken, ein Dreher am Arm, der Griff von hinten in die Haare - schon ist der junge Mann bewegungsunfähig, der sich da eben dem Mädchen am Schuleingang genähert hatte. Drei Agenten in Lederjacken stehen nun um ihn herum, tasten ihn ab - tatsächlich kommt eine Pistole zum Vorschein. Ein Erfolg für die Zivilfahnder der Carabinieri–Antidrogeneinheit? Mitnichten - sie haben den falschen erwischt, einen Kollegen sozusagen, allerdings keinen gerngesehenen: der Bursche gehört zur neuesten Errungenschaft neapolitanischer Drogenkämpfe, den Privatdetektiven, beauftragt von meist betuchten Familien zum Schutz ihrer Söhne und Töchter vor eben jenen Dealern, hinter denen auch die Carabinieri her sind. Der Vorfall ist symptomatisch. Wie hier vor der Mittelschule „Si lio Italico“ in Fuorigrotta, dem Verbindungsstück zwischen der Stadtautobahn und dem Hafen Neapels, stehen sich seit Wochen die offizielllen und die privaten Schützer gegenseitig im Weg; und wer die Gesichter der Carabinieri bei der Festnahme des „Falschen“ beobachtet, sieht keinerlei Enttäuschung über den Fehlgriff, eher schon kaum verborgene Freude über die Schmerzen, die der Kollege von der anderen Seite erlitten hat. Kein Bedauern auch darüber, daß der „echte“ Dealer mittlerweile davongewieselt ist - während sich die Carabinieri den Privaten griffen, hatte der sich gerade bei seinem Schützling darüber vergewissert, ob er vom „spacciatore“ ein Angebot erhalten hatte. Psychologisch mag die Aversion der Behörden gegenüber den Privaten schon verständlich sein - oft genug wird ihnen die „Effizienz“ der Detektive vorgehalten, und die Fahnder wissen natürlich auch, daß ihre eigenen Erfolge derzeit nicht gerade zu den Ruhmestaten gehören. Trotz immer größerer Einsätze werden die Drogenabhängigen immer mehr, in einigen Städten des Umlandes wie Afrigola, Secondigliano, Acerra oder Grumo Nevano gibt es bis zu 75 Prozent Süchtige im Alter von 14 bis 25 Jahren - bei jeweils einer fast ebenso hohen Jugendarbeitslosigkeit. Aus Neapel selbst liegen keine konkreten Vergleichszahlen vor - die Polizei ist derzeit nicht einmal in der Lage, die vom Innenministerium angeforderten genauen Rapports vorzulegen. Doch der Einsatz der Privatdetektive - Tagespreis für einen 24–Stunden–Einzelpersonenschutz bei der Agentur „Marlowe“ umgerechnet an die 450 DM - ist nicht nur für die Polizei aus Konkurrenzgründen ein Problem - er hat auch sonst seine Haken und Ösen. Das System privaten Schutzes für Schulkinder ist eine Goldgrube - und wem sollte das schneller auffallen als gerade jenen, die in Neapel alles und jedes unter Kontrolle halten, den Camorra–Gangs. Schon berichten Eltern hier in Fuorigrotta, daß sich ihnen reihenweise „Wachinstitute“ andienen, deren „Schutzpersonal“ nicht sonderlich viel Vertrauen erweckt, im Gegenteil: „Der erste, den sie uns geschickt haben“, berichtet Ottavio Di Oreste, Vater eines 13jährigen Mädchens aus dem nahen Piedigrotte, „den kannte ich schon - der verkauft am Sonntag schwarz Eintrittskarten vor dem Stadion San Paolo; dann habe ich ein anderes Institut beauftragt - und der Kerl hat meine Tochter nach der Schule in eine Diskothek mitgenommen, wo sich allerlei Gesindel herumtreibt.“ Daß Eltern, sofern sie genügend Geld haben, zum „letzten Mittel“ Privatdetektiv greifen, wird verständlich, wenn man die totale Schutzlosigkeit der Schüler in den Straßen Neapels und der Umgebung mitbekommt. Viele von ihnen haben Schichtunterricht, die Schulen schließen oft erst nach Einbruch der Dunkelheit, und man braucht etwa in Torre del Greco, Torre Annunziata oder anderen sozialen Brennpunkten des westlichen Neapel den Kindern nur ein paar hundert Meter zu folgen, um zu sehen, wie sich ihnen sofort allerlei Halbwüchsige und auch Erwachsene nähern, sie bedrängen oder gar schlagen. „Wir bekommen immer häufiger Anzeigen“, berichtet ein Carabiniere aus Portici, „daß sie drogenunwillige Kinder in Hauseingänge zerren und ihnen Rauschgift spritzen, um sie abhängig zu machen“. Doch bei „gerade einem Dutzend rund um die Uhr einsatzfähiger Kollegen“, sagt er, „wie willst du da zwanzig Schulen, vierzig Zugangsstraßen und fünfzehn unübersichtliche Plätze überwachen?“ Trotzdem will der neapolitanische Präfekt Agatino Neri „die Tätigkeit der Privatdetektive nur bis zu einem gewissen Grad dulden“, denn „unsere Erfolge in letzter Zeit zeigen, daß wir die Drogenszene zunehmend in Griff bekommen.“ Die Eltern sehen das freilich etwas anders. „Die machen immer dann große Razzien, wenn es Privatinitiativen gibt“, berichtet Gianfranca Luisi, eine der „Mütter gegen Drogen“, die schon seit Jahren gegen die Dealer kämpfen, „und nach zwei Wochen sind die alle wieder in Freiheit - zum Teil zu Recht, weil man einfach irgendwelche Leute verhaftet hat, nur um die Zahl der Festgenommenen eindrucksvoll in die Höhe zu treiben.“ Auch Schulleiter sind von der staatlichen Schutzfunktion nicht so recht überzeugt - und so haben viele von ihnen mittlerweile mit Lichtbild versehene Ausweise verteilt, „um wenigstens den Zutritt der Dealer in die Schule oder in die Toiletten zu verhindern.“ Hat auch nicht viel genützt - die ersten Fälschungen von Schülerausweisen wurden eben am Tag unserer Recherche in Fuorigrotta gemeldet.