Distanz und Engagement im Bundestag

■ An der gestrigen Bundestagsdebatte über die Schüsse von Frankfurt fiel auf, daß die Oberscharfmacher aufs Wort verzichteten / Waltraud Schoppe fordert Autonome auf: „Reißt eure Gesichtsmasken runter“

Aus Bonn Charlotte Wiedemann

Stehend, in mittlerweile routinierter Betroffenheit, hörten die Bonner Abgeordneten gestern morgen die Erklärung über „Bestürzung und Trauer“ aus dem Mund des Bundestagspräsidenten Jenninger. In der Plenardebatte zu den Frankfurter Schüssen verzichtete die CDU/CSU darauf, ihre Oberscharfmacher an die Front zu schicken und überließ es Wallmann, noch einmal für die Verschärfung des Vermummungsverbots zu plädieren. Für die FDP wollte sich Fraktionsvorsitzender Mischnick weiterhin nicht festlegen, ob seine Partei für oder gegen Gesetzesänderungen ist. Allerdings setzte Mischnick neue Pflöcke für die Verschärfung des geistigen Klimas: Er forderte „nicht nur die Distanzierung von Gewalttaten, sondern die Mitarbeit an der Enttarnung der Gewalttäter“. Nur wer dazu bereit sei, distanziere sich glaubwürdig. Offensichtlich spielte er damit auf eine Kontroverse innerhalb der Grünen an, wo sich die Ökosozialisten nicht der Forderung nach staatlicher Fahndung angeschlossen hatten. Daß es Mischnick allerdings nicht nur um den Extremfall der Todesschüsse geht, machte er deutlich durch die Schlußfolgerung: „Wer Gewalt gegen Sachen anwendet, scheut sich nicht, Gewalt gegen Menschen anzuwenden.“ Waltraud Schoppe als Rednerin der Grünen griff Mischnicks neues Kriterium für die Glaubwürdigkeit von Distanzierungen nicht auf. Vielmehr forderte sie ihrerseits von den im Wasserwerk nicht anwesenden Autonomen: „Laßt eure Zwillen und eure Helme zu Hause, reißt eure Gesichtsmasken runter!“ Waltraud Schoppe, die zuvor in einer geheimen Abstimmung der Fraktion mit knapper Mehrheit gegen Antje Vollmer als Rednerin aufgestellt worden war, appellierte an die anderen Parteien, nicht alle Autonomen „in einen Topf zu werfen“, und „auf der Grundlage der Absage an Militanz“ den Dialog zu suchen. In Bezug auf die Amnestie–Initiative sagte sie: „Auch wenn es uns allen schwerfällt, in dieser Situation an Versöhnung mit Terroristen zu denken“, sollte diese Idee weiterverfolgt werden. Innenminister Zimmermann reichte Schoppes Gewaltverzicht– Appell allerdings nicht aus. Solange Jutta Ditfurth ihre Äußerungen (gemeint war wohl: der Staat brauche nichts so sehnsüchtig wie den Terror) nicht zurückgenommen habe und solange Ebermann jetzt vor einer Pogromstimmung warne, seien die Grünen „aufgefordert, ihr Verhältnis zur Gewalt zu klären“. Die Vorgeschichte der Frankfurter Schüsse beginnt für Zimmermann „mit Blockaden“, die Lehre aus Frankfurt sei: „Den Verbrechern muß im Anfangsstadium ihrer Zusammenrottung entgegengetreten werden.“