Staatliches Vermummungsgebot

■ Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, wie der Gesetzgeber erzeugt hat, was er jetzt bestrafen will / Die Angst vor Berufsverboten förderte das Verhüllen der Gesichter

Von Vera Gaserow

Nach den tödlichen Schüssen an der Startbahn– West brauchten Fernseh–Kommentatoren und Politiker meist nur einen obligatorischen Satz des „Entsetzens“, um dann zu ihrem eigentlichen Anliegen zu kommen: ein neues Verbot sei geboten, ein Vermummungverbot müsse her, das Demonstranten, lichtscheuen Gesellen also, endlich die Maske vom Gesicht reißt. Ein Blick in die Vergangenheit verdeutlicht, daß der Staat jetzt zu einer Straftat machen will, was er selber erst geschaffen hat. Denn bei Demonstrationen das Gesicht zu verhüllen, war spätestens seit Anfang der siebziger Jahre geboten, weil das bloße Demonstrieren zum potentiellen Risiko geworden war, das umso größer wurde, je mehr sich polizeiliche Überwachungstechniken und Computerspeicherungen perfektionierten. Gefilmt und registriert wird seit den Protestaktionen anläßlich des Todes von Holger Meins vorrangig zur vorsorglichen Erfassung von „Staatsgegnern“ und „Verfassungsfeinden“. Gerade in den siebziger Jahren grassierte daher die Angst, mit der Teilnahme an einer Demonstration den Grundstein zum eigenen Berufsverbot zu legen. Erstmals hatten bei der Beerdigung von Ulrike Meinhof daher weite Teile der Demonstrationsteilnehmer ihre Gesichter vor den Polizeikameras geschützt. Wie berechtigt diese Angst vor staatlicher Erfassung schon in den siebziger Jahren war, hat der Staat in den Achtzigern selbst bestätigt. Heute wissen nur noch Experten, wie die polizeilichen Dateien alle heißen. Schon jetzt hat es aber auch mehrere Beispiele gegeben, wo selbst Halstücher oder Schminke Demonstrationsteilnehmer nicht vor Identifizierung und Erfassung im Polizeicomputer bewahrten. Immer häufiger ist die Preisgabe der eigenen Personalien zum Pfand geworden, das Demonstrationsteilnehmer hinterlassen mußten, um Polizeikessel verlassen zu dürfen. Und wenn die Polizei nach der Einführung der maschinenlesbaren Personalausweise mit automatischen Lesegeräten ausgestattet ist, wird die massenhafte Erfassung technisch keine Probleme mehr bereiten. Was ursprünglich Schutz vor staatlicher Gesinnungsregistrierung war, wurde in den letzten Jahren von Politikern und Polizei immer mehr zum Synonym für Gewalt gemacht. Wer einen Helm trug, um sich vor Schlagstöcken zu schützen, oder eine Maske vor dem Gesicht, um sein Konterfei nicht in der Presse oder im Polizeicomputer zu finden, wurde zum Dunkelmann erklärt. 1985 reagierte die CDU–FDP–Regierung erstmals auf Gesetzesebene auf die inzwischen „Vermummung“ betitelte Maskierung. Mit einer Neufassung des § 17 des Versammlungsgesetzes wurde das Tragen und auch das Mitführen von sogenannten „Schutzwaffen“ verboten, worunter der Gesetzgebers auch Helme versteht. Als ordnungswidrig gilt seitdem ebenfalls eine Demonstra verhindern“. Nach den Plänen der CDU/CSU soll es jedoch in Zukunft noch einen Schritt weiter gehen. Mit einer geplanten Verschärfung des Landfriedensbruchparagraphen sollen das Tragen von sogenannten „Schutzwaffen“ und die „Vermummung“ nicht nur als Ordnungswidrigkeit, sondern als Straftat gelten, die bis zu einer einjährigen Haftstrafe führen kann. Strafbar machen sich nach diesen Plänen jedoch auch all die, die sich bloß an einer Demo mit „Vermummten“ beteiligen, egal ob es dabei zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kommt oder nicht. Als „Vermummte“ gelten dabei alle Personen, deren Identität - etwa durch eine Motorradmaske, Schminke oder Sonnenbrille - nicht erkennbar ist. Garantiert straflos bleiben nach diesen Plänen nur noch Karnevalsumzüge und spontane Versammlungen an einem FKK–Strand.