Eier keine Gewalt–Einstiegsdroge!

■ Denkwürdige Diskussionsveranstaltung im Rathaus zu Münster / Cohn–Bendit und Fischer debattieren mit CDU–Spitzenleuten / CDU–Oberbürgermeister plädiert für „konsequente Dezentralisierung“

Aus Münster Walter Jakobs

Jörg Twenhöfen mußte sich zwar nicht ausgerechnet mit diesen Leuten an einen Tisch setzen, aber er wollte. Und das nahmen dem münsteranischen CDU–Oberbürgermeister einige in seiner Partei übel. Kaum war die Idee geboren, erreichten schon die ersten bösen Telefonanrufe sein Rathaus. Ausgerechnet mit den drei Hessen Joschka Fischer, dem „roten“ Daniel Cohn–Bendit und dem Chef der hessischen Staatskanzlei, Alexander Gauland, in der schwarzen westfälischen Metropole über „Wiedertäufer und Wohlstandsgesellschaft“ zu streiten, schien einem Teil der CDU–Klientel dann doch etwas verwegen - und das, obwohl Athenäum–Verlag und Rathaus ihre Idee schon vor den Schüssen an der Startbahn West planten. Randvoll war der Rathausfestsaal am Freitag abend gleichwohl. Daß angesichts der Frankfurter Polizistenmorde sich statt dessen vornehmlich eine politische Rückschau entwickelte, eine Diskussion über deutsche Geschichte, über deutsche Selbstgerechtigkeit, war nicht nur unvermeidlich, sondern geradezu zwingend. Eine erregende Debatte, wobei die beiden Frankfurter Ex– Spontis, scharfzüngig, eloquent und witzig, so manchen Konservativen im Saal zu spontanem Beifall verführten. „Diejenigen, die das Klima geschaffen haben“, so eröffnete Cohn–Bendit, „sind politisch für die Schüsse verantwortlich“. So wie die Linke angesichts der Schüsse auf Benno Ohnesorg und Rudi Dutschke zu Recht auf die Verantwortung des Springer– Konzerns hingewiesen habe, so müsse sie jetzt bereit sein, politi sche Verantwortung zu übernehmen. Leidenschaftlich wandte sich Cohn–Bendit gegen „typisch deutsche Selbstgerechtigkeit“, die schon am Tag nach den Schüssen mit allen möglichen Forderungen komme, „obwohl niemand eine Lösung hat“. Jetzt sei es an der Zeit, daß die Macht zeige, „daß sie Zweifel hat“. Es sei „Unsinn, die Schüsse als Beleg für den Zustand der Ökologiebewegung zu werten“, genau wie „es Unsinn ist, Schleswig–Holstein als Beleg für den Zustand der gesamten CDU zu nehmen“. Dialog sei das Gebot der Stunde. Die Entwicklung einer „Streitkultur“ erhob auch Alexander Gauland zum Programm. Allerdings, so Wallmanns wichtigster Mann, „zustandegekommene Beschlüsse erfordern Gehorsam“. Das Problem der Industriegesellschaft sei der „Utopieverlust“. Da, wo die Linke einen großen Gegenentwurf versucht habe, sei oftmals statt dem „Paradies auf Erden, die Hölle auf Erden geschaffen worden“. Der Utopieverlust führe zu „psychischen Reaktionen“, die die „Stabilität unserer Gesellschaft gefährden“. „Die Legitimität des Staates“, so hielt Cohn–Bendit dem Konservativen vor, „kann man nur dann anerkennen, wenn man auch die Legitimität des zivilen Ungehorsams anerkennt“. Eine scharfe Kontroverse entwickelte sich, als Joschka Fischer die von Gauland geforderte Gesetzestreue als jene Haltung brandmarkte, die den Faschisten jahrelang die Massenvernichtung erlaubt habe. Alfred Dregger habe eben nicht als Wehrmachtsoffizier „seine Pflicht erfüllt“, sondern seine „Pflicht“ wäre es gewesen, die Waffe auf „Hitlers Mordbuben“ zu richten. Fischer - „ich kann heute nicht sagen, ob mein Mut dazu gereicht hätte“ -, aber von den Wehrmachtssoldaten müsse man heute erwarten, daß sie zumindestens anerkennen, „sich in der Pflichterfüllung geirrt zu haben“. Dies, so ergänzte Cohn– Bendit, gelte natürlich ebenso für Helmut Schmidt, der sich in seinen jüngsten „Erinnerungen“ „noch nicht einmal die Frage gestellt hat, warum war Willy Brandt ein Widerstandskämpfer, ich aber ein Offizier“. So mancher junge Konservative im Saal applaudierte den beiden Ex–Spontis nach dieser Passage, während sich die Gesichter vieler älterer Männer im Saal versteinerten. Diese Geschichtsverdrängung der mangelnden - etwa im Vergleich zu Italien - nationale Widerstand gegen den Faschismus ist für Fischer „ganz entscheidene“ Gewaltursache der jungen deutschen Linken. Während die Bonner CDU– Zentrale „Weiter so Deutschland“ plakatiert, steht für Twenhöfen fest, „so geht es nicht weiter“. Die jetzige Form der Exekutierung von Macht führe zur „Identitätskrise“, die ebenfalls in Gewalt münden könne. Eine Politik der Förderung von „kleineren Lebenskreisen“ sei das Gebot der Stunde. Damit waren auch die beiden Grünen weitgehend einverstanden, allerdings, so Fischer, diese Politik sei nur dann glaubhaft, „wenn die CDU die Rekomunalisierung auch dort betreibt, wo sie ihr, wie etwa bei der Energiepolitik, weh tut“. Ein CDU–Ratsherr hielt den Grünen auf dem Podium einen Satz von Robert Leicht aus der jüngsten Ausgabe der Zeit vor - „es fängt mit Eiern an und endet bei Pistolen“ - und warf ihnen vor, nicht frühzeitig gegen „Zwillen und Steine“ protestiert zu haben. Dieser „entsetzliche Satz“ (Cohn–Bendit), so auch Fischer, sei „grundfalsch“. „Wenn alle, die Eier und Pudding geworfen haben“, so Cohn–Bendit, „auch Steine geworfen hätten, dann armes Deutschland“.