Wann kommt der Hunger?

„Angesichts der schweren Dürre wird es zu einer erneuten Verschlechterung der Nahrungsmittelversorgung in Äthiopien kommen. Die Ernte ist fast vollständig ausgefallen, Bewohner der Provinzen Tigray und Eritrea haben bereits ihre Heimat verlassen und sind auf der Suche nach Nahrung in die Städte geflohen.“ Mit dieser dramatischen Prognose appellierte der Generalsekretär der UN–Landwirtschaftsorganisation FAO am vergangenen Sonntag in Nairobi an die westlichen Staaten, Äthiopien wieder vermehrt Nahrungsmittelhilfe zu gewähren. Erst 350.000 Tonnen seien für 1988 bewilligt, 950.000 Tonnen habe die Regierung in Addis Abeba verlangt, doch allein 1985 seien rund 1,2 Mio. Tonnen benötigt (und geschickt) worden. Zum zweiten Mal innerhalb weniger Jahre wer den die Äthiopien–Kampagnen damit in der Vorweihnachtszeit die Öffentlichkeitsarbeit der Hilfswerke bestimmen. Untergehen wird, wie schon während der großen Dürre 1984/85, die Art und Weise, wie vor allem am Beispiel Äthiopiens mit dem Hunger Politik betrieben wird. Bereits vor drei Monaten, am 7. August, warnte das Welternährungsprogramm der UNO vor einer Dürre in den nördlichen und von Guerillabewegungen dominierten Provinzen Eritrea und Tigray. Doch schon einen Tag später dementierte die staatliche äthiopische Hilfsbehörde RRC und warf der FAO vor, das Image Äthiopiens schädigen zu wollen. Addis Abeba war gerade mit der Vorbereitung der Feierlichkeiten zur Ausrufung der Republik im September beschäftigt, negative Schlagzeilen waren nicht erwünscht. Doch schon eine Woche später, am 16. August, als die ausbleibenden Regenfälle nicht länger zu leugnen waren, machte die RRC eine 180–Grad–Wendung und erklärte, nicht nur zwei, sondern mindestens zehn der damals noch 14 Provinzen seien von einer schweren Hungersnot bedroht. Obschon auch die eritreische Hilfsorganisation ERA Ende September bestätigte, daß die Aussaat von Sorghum, Mais und anderen Getreiden verdorrt sei und es im Sommer gar nicht und im Herbst zu spät geregnet habe, entsandte die FAO erst zwei Monate später ein Team in die Region, dessen Ergebnisse bis heute nicht vorliegen. Bemerkenswert ist auch, auf welch unterschiedliche Ursachen die erneute Nahrungsmittelknappheit zurückgeführt wird. Die Hilfsorganisationen der Tigray und Eritreer bitten schon seit dem Frühjahr dieses Jahres verzweifelt um Unterstützung bei der Bekämpfung der beispiellosen Heuschreckenplage, von denen die Nordprovinzen heimgesucht werden. So wurden nach Angaben der Eritrean Relief Association allein im Mai 308 Quadratkilometer Weideland kahlgefressen, und über 12.000 Tonnen Getreide gingen verloren. Allein - bei den UN–Organisationen werden die gefräßigen Tierchen (fünf Schwärme mit 50 Mio. Tieren nach ERA–Angaben) mit keinem Wort erwähnt. Der Verdacht liegt nahe, daß dies aus Rücksicht auf Addis Abeba geschieht. Heuschrecken können bislang nur mit Sprühflugzeugen aus der Luft effizient bekämpft werden, und die erhalten von der Zentralregierung zwar eine Starterlaubnis, doch dies schützt sie nicht davor, von der Armee über Rebellengebiet abgeschossen zu werden. Dieses Risiko mag natürlich keine Organisation ihren Piloten zumuten. Doch auch die ERA sitzt im Glashaus, seit Kämpfer der eritreischen Volksbefreiungsfront EPLF am 18. Oktober einen Hilfskonvoi überfielen und ausbrannten. Die Vermutung, Militärfahrzeuge hätten die Hilfslaster begleitet, erwies sich im nachhinein als falsch. Nina Boschmann