Italien will keine AKWs

■ 70 bis 85 Prozent für Abschaffung der Atomkraft und für Verantwortlichkeit von Richtern bei Fehlurteilen / Alle Parteien erklären sich nachträglich zu Siegern

Aus Rom Werner Raith

Mit Stimmanteilen zwischen 70 und 85 Prozent haben Italiens Wahlbürger den fünf Anträgen zugestimmt, die ihnen zur Zukunft der Atomkraft (in drei Fällen) und der Rechtspflege (zwei Referenden) vorgelegt worden waren. Damit haben sich die italienischen WählerInnen für die Abschaffung von Gesetzen zum Bau von AKWs ausgesprochen. Zum Entscheid standen: die Einstellung der Finanzhilfe für Kommunen, die Atomkraftwerke ansiedeln (zwei in Betrieb, eins im Bau); Beendigung der italieni Die Zustimmung zu den Justizanträgen bedeutet, daß künftig strafrechtlicher Verfolgung von Ministern keine parlamentsinternen Hürden mehr entgegengesetzt werden dürfen, und daß die geltende Regelung der zivilrechtlichen Verantwortung von Richtern und Staatsanwälten bei Fehlentscheidungen neu geregelt werden muß. Bisher hatten sich die Staatsjuristen nur bei vorsätzlicher Rechtsbeugung verantworten müssen. Fortsetzung auf Seite 6 Kommentar Seite 4 In den Tagen unmittelbar vor der Abstimmung hatten sich die Gemüter noch kräftig erhitzt. So war es zu harten Polemiken gekommen, als die Radikale Partei den Referendumsgegner Ugo La Malfa von der Republikanischen Partei in Inseraten „La Malfia“ titulierte und Namen angeblich mafiaverdächtiger Parteifreunde La Malfas publizierten. Am Samstag hatte dann der schon etwas zerstreute Fernseh–Entertainer Adriano Celentano in seiner Show „Fantastico“ dazu aufgerufen, neben das Kreuzchen auch noch den Satz „Ich bin gegen die Jagd, denn sie ist gegen die Liebe“ hinzukritzeln - was er dann widerrief, weil es die Ungültigkeit des Stimmzettels bedeutet hätte. Erstaunlicherweise erklären sich aber nun, nach dem eindeutigen „Si“ zu sämtlichen fünf Fragen, alle zu Siegern. Die einen, weil sie das „Ja“ empfohlen hatten (bezüglich der Atomkraft z.B. die Grünen, die Radikalen, die Demoproletarier, die Sozialisten, die Kommunisten und in zwei der drei Fragen auch die Christdemokraten), die anderen (vorwiegend die Republikaner, im Falle des einen Justizreferendums auch noch die Demoproletarier, Anhänger der „Democrazia Proletaria“, und Teile der Grünen), weil sie bei nominell nicht einmal fünf Prozent Wählerstimmen für immerhin gut 20 Prozent „Nein“ gesorgt hatten. Die Rechnungen für den Ausgang der Abstimmung werden allerdings erst noch präsentiert. Innerhalb der Regierungskoalition schwelt auch nach den Referenden der Streit zwischen den AKW– freundlichen Republikanern und den atomkraftabgeneigten Sozialisten munter weiter, bei weitgehender Gleichgültigkeit der Sozialdemokraten, Liberalen und Christdemokraten - die aber wiederum bei dem nun innerhalb von 120 Tagen zu verabschiedenden neuen Gesetz über die Richter den oppositionellen Kommunisten näher stehen als den Partnern von der Sozialistischen und Republikanischen Partei. Doch auch die „reinen“ Atomkraftgegner, die Grünen, Radikalen, Demoproletarier, sind des Erfolges nicht so recht froh geworden. Nicht nur, daß die bestehenden drei Anlagen mit den Referenden aus gesetzlichen Gründen nicht „erreicht“ werden und noch einige Jahre weiterglimmen dürfen: Die nur sehr mäßige Wählerbeteiligung von 65 Prozent (die niedrigste seit Bestehen der Republik) zeigt auch deutlich, daß ein erheblicher Teil der ItalienerInnen der Frage Atomenergie recht gleichgültig gegenübersteht und daß die erreichten 80 Prozent Ja– Stimmen im Grunde gerade gut 50 Prozent aller Wahlberechtigten ausmachen. Und das könnte die Regierenden durchaus in Versuchung führen, mithilfe neuer Gesetze später doch wieder ganz legal auf Atomkraft zurückzukommen.