Alles wartet auf die Räumung

■ Der Konflikt um die besetzten Häuser in der Hafenstraße geht auf ein schlimmes Ende zu

Eine Nacht und ein Tag hektischer Aktivität in Hamburg: Nachdem der Senat den symbolischen Abbau der Befestigungsanlagen als unzureichend abgelehnt hat, erklären die Bewohner: „Sie wollen die militärische Lösung. Wir werden kämpfen.“ Es folgen letzte Appelle an den Senat, die Konfrontation nicht zu suchen, und einige Prominente kündigen an, sie werden „in die Hafenstraße ziehen“.

Ingo von Münch wollte die wenigen Meter zu Fuß gehen. Die Hamburger FDP hatte am Dienstag abend auf dem Museumsschiff „Rickmer Rickmers“ an den Landungsbrücken zum Empfang geladen, doch ihr Kultur– und Wissenschaftssenator wäre am liebsten einen Steinwurf elbabwärts gewesen. Dort tagte zur gleichen Zeit das erweiterte Plenum der Hafenstraßenbewohner, und der Senator war fest entschlossen, die dort Diskutierenden persönlich zu überzeugen, den weiteren Abbau der Befestigungsanlagen anzugehen. Seine Parteifreunde wußten keine bessere Lösung, hielten von Münch aber dennoch zurück. Vor dem mit Braten, Lachs und Aal prall gefüllten Buffet machte sich Ratlosigkeit breit: „Ich muß morgen im Rathaus was dazu sagen“, seufzte Wolfgang Bodeit, innenpolitischer Sprecher der FDP– Fraktion, „aber ich weiß noch nicht was.“ Nach Mitternacht wußte er es immer noch nicht. Ratlosigkeit auch bei der anderen kleinen Fraktion in der Bürgerschaft, den Grün–Alternativen. Nachdem Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) am späten Nachmittag die Vertragslösung für gescheitert erklärt hatte und ein letztes Ultimatum bis Mittwoch nachmittag verkündete, versuchte die GAL mit hilflosen Erklärungen, noch zu retten, was nicht mehr zu retten war. Pünktlich bei Ablaufen des Ultimatums veranstaltete der Initiativkreis Hafenstraße, in dem auch so mancher GALer mitarbeitet, eine Kundgebung vor dem Rathaus. Kurz davor trommelte man noch eine Reihe von „Prominenten“ wie Berlins Alt–Bürgermeister Heinrich Albertz und Konkret– Chef Hermann Gremliza für eine Pressekonferenz zusammen. Für Klaus von Dohnanyi war der Zug zu diesem Zeitpunkt schon abgefahren. Während die GAL Albertz und die anderen noch zu Besinnung aufrufen ließ, präsentierte sich der erste Bürgermeister in einem anderen Rathaus– Saal schon mit dem Thema, das in der Zeit nach der Hafenstraße für die nächsten Schlagzeilen und Diskussionen sorgen wird: mit der riesigen Lücke im Hamburger Haushalt. In Sachen Hafenstraße, das demonstrierte er mit diesem Auftritt, habe er alles ihm Mögliche unternommen, für das weitere Vorgehen seien jetzt die Bau– und die Innenbehörde zuständig. Noch am Vorabend hatte sich Dohnanyi lautstark und mit den Armen rudernd darüber beschwert, daß die Hafenstraßen– Bewohner auch seinem letzten Angebot nicht nachgekommen sind. Außer den Stacheldrahtrollen auf den Dächern der umkämpften Häuser sei nichts abgeräumt worden. Trotz des Ultimatums glaubte Dohnanyi schon Dienstag abend nicht mehr an weitere Zugeständnisse vom Hafenrand: Nachdem er sich noch mit den Worten: „Scheiße, verdammte Scheiße“ durch die Journalistenmassen aus dem Raum gedrängt hatte, konnte er - in einem scheinbar unbeobachteten Moment - schon wieder lachen. Mit pflichtbewußtem Ernst präsentierte er sich dagegen wieder in der gestrigen Bürgerschaftssitzung. Die CDU–Opposition blies zum Frontalangriff, die in Hamburg dominierenden Springer–Gazetten hatten dem Fraktionschef der Union, Bundeswehr–Major Hartmut Perschau, schon in ihren gestrigen Ausgaben ganze Spalten für seine Attacken auf Dohnanyi freigeräumt. Im derzeitigen Hamburger Klima scheute sich Perschau denn auch nicht, längst als Falschmeldungen wiederlegte Greuelgeschichten über die Bewohnerreaktion auf die Frankfurter Morde - Freudentänze und Salutschüsse - noch einmal aufzuwärmen. Daß Perschau letztlich auf Dohnanyis Kopf als Bürgermeister zielt, ist sein Job - und daraus macht er keinen Hehl. Eine ganze Spur niederträchtiger erscheinen da die Attacken der SPD–Rechten, denen sich Dohnanyi letztlich beugen mußte. Sollten nach der Räumung, von deren Bevorstehen die ganze Stadt seit Dienstag abend spricht, die erwarteten militanten Folgen eintreten, wird das Kesseltreiben gegen Dohnanyi und die Autonomen, d.S. weitergehen. Die zu erwartenden Brutalitäten bei der Räumung wollen nun einige mehr oder weniger prominente Intellektuelle mit einer waghalsigen Aktion verhindern. Jan Philipp Reemstma, Thomas Ebermann, Antje Vollmer und der St– Pauli–Pastor Christian Arndt wollen nun zum Schutz gegen die drohende Räumung in die umkämpften Häuser in der Hafenstraße ziehen. Wenn es so weit ist, sollte sich Ingo von Münch noch einmal überlegen, zum Hafenrand zu gehen. Während einer Räumung nützt er mehr als bei einer Plenumsdiskussion. Axel Kintzinger