Volksfürsorge–Verkauf: Gemeinwirtschaft baut ab

■ Finanzprobleme des Neue–Heimat–Skandals vor Lösung / Belegschaftsprotest

Von Martin Kempe

Bei der letzten Aufsichtsratssitzung der gewerkschaftlichen Unternehmensholding BGAG am 5. November im Frankfurter Hochhaus der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) stand als wichtigster Tagesordnungspunkt ein Milliardengeschäft auf dem Programm. BGAG–Vorstandsvorsitzender Hans Matthöfer eröffnete den gewerkschaftlichen Spitzenfunktionären eine Nachricht, die sie mit Erleichterung vernommen haben dürften: Die Verkaufsgespräche um den Versicherungskonzern Volksfürsorge stehen kurz vor dem Abschluß. Mit dem Verkaufspreis in Milliardenhöhe können endlich die finanziellen Folgen des Neue–Heimat–Skandals von der gewerkschaftlichen Unternehmensgruppe bewältigt werden. Die Gefahr, daß die gewerkschaftlichen Anteilseigner erneut Milliardenbeträge aus den zurückgelegten Mitgliedsbeiträgen ins Krisenmanagement pumpen müssen, ist gebannt. Erleichterung also bei den Funktionären der höheren Ebene, Empörung aber bei jenen unter den Gewerkschaftern, die als erste und umittelbar von der bevorstehenden Transaktion betroffen sind. In der Aktenmappe der Aufsichtsräte lag auch eine Resolution der gewerkschaftlichen Vertrauensleute und Betriebsräte aus der Hauptverwaltung der Volksfürsorge Deutsche Lebensversicherung bei, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt: „Wir haben nicht die Fehler zu verantworten, die dazu führen müssen, die Volksfürsorge zu verkaufen“, stellen die Autoren fest und kündigen Widerstand gegen die Verschlechterung der Haustarifverträge bei dem Gewerkschaftsunternehmen an: „Unseren 100prozentigen Organisationsgrad werden wir zu nutzen wissen.“ Erbost zeigten sich die Volksfürsorge–Gewerkschafter über eine Feststellung des BGAG– Chefs Matthöfer, die offensichtlich im Zusammenhang mit den Verkaufsverhandlungen an die Deutsche Genossenschaftsbank stehen: Die Gehälter bei dem Gewerkschaftsunternehmen seien zu hoch, lägen 15 bis 20 Prozent über denen in der übrigen Branche. Die Verfasser der Resolution fordern von den über ihr Schicksal verhandelnden Gewerkschaftsmanagern, daß alle Entscheidungen nur „unter vollständiger und rechtzeitiger Einbeziehung“ der Mitbestimmungsgremien getroffen werden, die Arbeitsplätze und -bedingungen der Beschäftigten in vollem Umfang erhalten bleiben und daß der „gewerkschaftliche Charakter des Unternehmens“ nicht verloren gehen solle. Ob diese Bedingungen bei den kurz vor dem Abschluß stehenden Verkaufsverhandlungen mit der Deutschen Genossenschaftsbank erfüllt werden, ist durchaus fraglich. Nach Informationen der taz wird die Gewerkschaftsholding wie auch schon früher angekündigt lediglich 25 Prozent der Anteile an der Volksfürsorge behalten. Die DG–Bank wird 50 Prozent plus eine Aktie kaufen und damit gesellschaftsrechtlich die alleinige Verfügungsmacht über den Konzern erhalten. Die übrigen Anteile sollen breit an der Börse gestreut werden. Über den Kaufpreis gibt es noch keine Klarheit. Ursprünglich hatte man sich bei der BGAG entsprechend dem Vertragsumfang der Volksfürsorge rund zwei Milliarden Mark erhofft. Auf Grund der Währungsturbulenzen in den letzten Wochen, die die Versicherungspapiere besonders in Mitleidenschaft gezogen haben, rechnet man jetzt mit rund 1,5 Milliarden Mark. Zusammen mit der Raiffeisen und Volksbanken–Versicherung wird durch die Transaktion der nach dem Allianz–Konzern zweitgrößte Versicherungskonzern der BRD entstehen. Mit dem Verkauf der Volksfürsorge sind die Gewerkschaften dem von IG–Metall–Chef Steinkühler formulierten Ziel ein Stück näher gekommen. Steinkühler meinte kürzlich auf einer IGM– Konferenz zur Gemeinwirtschaft, es sei „schlicht für die Gewerkschaften nicht möglich, gemeinwirtschaftliche Unternehmen in einem kapitalistischen Umfeld zu führen“ und forderte den vollständigen Ausstieg. Nur in begründeten Ausnahmefällen, die sich aus den unmittelbaren Anforderungen der gewerkschaftlichen Arbeit ergeben, will er Ausnahmen zulassen. Er nannte dabei Kultureinrichtungen wie die Büchergilde Gutenberg oder die Union– Druckerei. Vom „gewerkschaftlichen Charakter“ etwa der Volksfürsorge war dort keine Rede.