D O K U M E N T A T I O N Signifikanten auf der Suche nach einem neuen Zuhause

■ Eine Passage aus dem neuesten, noch unveröffentlichten Roman des auch bei uns bekannten - „Wie deutsch ist es“ - New Yorker Autors Walter Abish

Hauptsächlich waren Russisch, Englisch, Amerikanisch - wenn denn das Amerikanische vom Englischen sich unterscheiden läßt - die drei Sprachgruppen, die in den linguistisch vom Deutschen beherrschten Raum eindrangen, die über die deutsche Aufmerksamkeit herfielen und, wenn auch nur unbewußt, eine Art Auswahl ermöglichten. Ganz anders als so viele der anderen unterjochten oder sogar in gespanntem Bündnis vereinten Sprachen, die bestenfalls eine dienstfertige oder unbehagliche Präsenz darstellten. Einige Sprachen wurden ja schließlich mit Gewalt geändert und sogar - in einem oder zwei extremen Fällen - mit dem Furor einer Naturkatastrophe ausgerottet, so, als hätte man beschlossen, daß sie, diese fremden Zungen, der Welt keine lohnenden Botschaften mehr zu geben hätten. Zum Schluß, gegen Ende der Auseinandersetzung, drangen das Russische, das Englische, das Amerikanische (verstärkt nun um das eloquente Französische), vorwärts, nicht nur mit dem brennenden Wunsch, die deutsche Sprache zu beherrschen, sondern auch mit den Mitteln, es tatsächlich zu tun. Die Frage blieb bestehen, welche der vier Wurzeln schlagen würde, welche würde von nun an Deutschlands kulturelle und metaphysische Richtung bestimmen? Welche würde in die einflußreichste Position geraten? Welche würde vorherrschen und aus der deutschen Sprache ein etwas feineres Reagens auf die gegenwärtigen Bedürfnisse machen? Würde es die Sprache von Dostojewski, Tolstoi, Isaak Babel und General Georgij Konstantinowitsch Schukow, oder die Sprache von Henry Green, Evelyn Waugh, H. G. Wells und Feldmarschall Montgomery, oder würde es die Sprache von Proust, Gide, Saint Exupery und Andre Malraux, oder die von Hemingway, Gertrude Stein, Salinger und Patton sein? Waren einmal das noch immer selbstbewußte und ewig im Understatement begangene Englische und das zu diesseitige Französische abgeschafft, würde ein erbitterter Nahkampf zwischen den beiden neuen Titanen entstehen, zwischen denjenigen, die Kwas tranken und denen, die Coke und Budweiser kistenweise stürzen, letztlich zwischen der Balaleika und dem Jazz ... zwischen russischer Rührung und Riffs aus Chicago. Gegen Ende des Krieges drang amerikanischer Slang mit noch höherer Häufigkeit in den deutschen Luftraum ein. Worte, kurze Gesprächsfetzen, Okay, Hunky– dory, shake a leg, sh–i–i–t... blieben in der Luft hängen wie die winzigen Wölkchen der Flak, weiße Bedeutungsblasen, Signifikanten auf der Suche nach einem neuen Zuhause. Aber die Deutschen tiefer unten beherrschte noch immer eisern die Vorstellung von einem Europa als ihrem Herr schaftsbereich, oder hieß das Verhängnis. Wie konnten sie denn allenfalls den Slogan Keep the show on the road deuten oder verstehen, wenn sie, auf diese oder jene Weise, plötzlich einigen B–17 oder B–24– Bombern ins Gesicht blickten und sahen - sowas durfte man nicht leicht nehmen -, daß für diese große Offensive, diesen Kreuzzug, die Amis ihren Flugzeugen Namen gegeben hatten: El Rancho, Battle Wagon, Power House II, Riley & Crew, Snufly, MHoney, Vertical Shaft, Dances Wild, Lucky Thirteen, The Ex–Virgin, Rosies Riveters, St. Regies Reply, Nelson King und Shangri La. 1944 konzentriert sich jedermann schon auf die Lösung des Dramas, auf das Ergebnis, nur wenige aber bemerkten den Grad, in welchem die russische und amerikanische Sprache bereits Geist und Verstand der Deutschen angriffen, und dabei schienen die Amerikaner etwas im Vorteil zu sein, weil ihre Sprache leichter zugänglich wirkte - sie schien größere Belohnungen zu versprechen, sie führte unweigerlich nach Hollywood und zu Time und Life und The Hit Parade und Chickery chala chala, checkala romey in a bananika bollika wollika cant you see Chickery Chick its me und Coca Cola und Joan Blondell und James Cagney und William Holden und James Stewart und Pontiac und Buick und boy oh boy, Rockey Road und Ten in one und Spearmint gum und on the Armed Forces Network: Benny Goodman, Artie Shaw, Glenn Miller, Tommy Dorsey, Fats Waller, Ella Fitzgerald, Duke Ellington ... In The Mood .. Nun, zugegeben, vierzig Jahre später ist der Schwung weg. Ziemlich viele Deutsche Produkt eins zu werden. Die Amerikanisten an den Universitäten sind von Amerika nicht abgefallen, und jedes Jahr erscheint ein neuer Schub Dissertationen über Whitman, Poe und Hawthorne ... ebenso wird eine Reihe Arbeiten über Pynchon und Gaddis und Gass verfertigt. Aber kann sich noch jemand an die anfängliche Erregung erinnern, als am 27. Januar 1943 über Wilhelmshaven die lakonische Stimme eines neunzehnjährigen Navigators in einer B–17 ihre Worte Charlie Baker One, can you hear me, over! in den noch immer heiß umkämpften deutschen Sprachraum dringen ließ. Übersetzung: Jörg Laederach Auszug aus dem noch unveröffentlichten Roman „As if / Als ob“, aus dem ein größerer Abschnitt in deutscher Übersetzung von Jörg Laederach in Literatur im technischen Zeitalter, Heft 104, Dezember 1987, erscheinen wird.