Barrikaden in Hamburger Bewegung

■ Chaos total im Senat wie in der Hafenstraße: Dohnanyi zeigt nun doch wieder Gesprächsbereitschaft / Innensenator kündigt Räumung in „absehbarer Zeit“ an / Hafenstraße baute Straßensperren auf und ab - letzlich nur direkt vor die Häuser verschoben

Von P.Bornhöft u. A.Kinzinger

Hamburg (taz) - Die Gerüchte über eine bevorstehende Räumung der Hafenstraße jagten sich gestern bis in den frühen Abend hinein. Gegen 17 Uhr dann signalisierte Bürgermeister Klaus von Dohnanyi nach Informationen der taz erneute Gesprächsbereitschaft über den Pachtvertrag. Demnach will der Senat möglicherweise doch wieder über den Knebelungsparagraphen mit sich reden lassen, der den Abbau sämtlicher Verteidigungsanlagen vor Inkrafttreten des Vertrages vorsieht. Demgegenüber kündigte Innensenator Lange am Nachmittag die baldige Räumung der Häuser an. Am Nachmittag hatten die Bewohner zwei Barrikaden an der St.Pauli–Hafenstraße abgebaut und unmittelbar vor die Häuser geschoben. Diese Aktion hatte Dohnanyi als unverzichtbare Vorleistung zur Verhinderung einer weiteren Eskalation gefordert. Die Grünen Bock und Ebermann übermittelten dem nicht–öffentlich tagenden Plenum der BewohnerInnen die Forderung des Bürgermeisters. Am Abend platzte dann die Vollzugsmeldung in ein Gespräch zwischen Dohnanyi und den Grünen Schoppe und Vollmer, die sich den ganzen Tag um Vermittlung bemüht hatten. In der Nacht zuvor waren mehrere Barrikaden errichtet worden. Das geschah, nachdem der Senat die Vertragsverhandlungen am Mittwoch für gescheitert erklärt hatte. Einziges Ergebnis einer stundenlangen Redeschlacht in der Hamburger Bürgerschaft bis in die späte Nacht des Mittwoch: Fortsetzung auf Seite 2 Mit den Stimmen von SPD und FDP wurde ein Antrag der oppositionellen CDU verabschiedet, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß zur Hafenstraße einzusetzen. Mit einem umfangreichen Fragenkatalog wollen die Christdemokraten insbesondere die Rolle des früheren SPD–Senats und Klaus von Dohnanyis in dem jahrelangen Streit klären lassen. Während dieser Debatte, in der die GAL bis zuletzt versuchte, den Senat doch noch zu einer Vertragslösung zu bewegen, tobte in der Hafenstraße der Streit. Für viele UnterstützerInnen überraschend setzte sich die Linie des sofortigen Barrikadenbaus durch. Während der gesamten Nacht errichteten Sympis und Bewohner mehrere Straßensperren aus Sperrmüll, Pflastersteinen und Ladegerät einer angrenzenden Transportfirma. Im an St.Pauli angrenzenden Schanzenviertel brannten Barrikaden. Die Agenturen meldeten, daß auch geparkte Autos benutzt wurden. Die Polizei habe in der Nacht, so Lange gestern mittag vor Journalisten, „eine Eskalation mit Be sonnenheit vermieden“. Gleichzeitig kündigte er die Räumung der Hafenstraße an: „Es steht fest, daß die Behörden und die Polizei (...) jetzt unbeirrbar die Ziele des Senats zur Verwirklichung des städtebaulichen Konzeptes durchsetzen werden.“ Jetzt werde, so Lange weiter, die Vollstreckung der vorhandenen Räumungstitel angestrebt. Wie berichtet, ist dieser Rechtsweg äußerst problematisch, da viele Titel sich auf Leute beziehen, die längst ausgezogen sind, und unbekannt ist, wer denn nun eigentlich in den Häusern wohnt. Dennoch ließ Lange keinen Zweifel daran, daß „in absehbarer Zeit“ geräumt wird. Unterdessen appellierte gestern der Hamburger Landesverband der Gewerkschaft der Polizei (GdP) an Bundesinnenminister Zimmermann, Bundesgrenzschutz zur Verstärkung der Polizei nach Hamburg zu schicken. Entsprechend meldete der Piratensender Radio Hafenstraße am Nachmittag, im Stadtteil Rahlstedt stünde ein Aufgebot niedersächischer Bundesgrenzer neben Wasserwerfern bereit. Aus Kreisen der Polizei hieß es, man stehe „für einen Einsatz bereit“. Unterdessen überstürzten sich die Ereignisse auf der Gegenseite. Neben den erwähnten Gesprächen zwischen Senat und Grünen–Bun destagsabgeordneten, fanden kleinere Demonstrationen statt. Aber das wichtigste Ereignis für den Senat: Ab 17 Uhr rollte der Verkehr wieder. Die Hafenstraßenbewohner wollten, so hieß es, damit ein Signal für weitere Gespräche über ein Stiftungsmodell für die Hafenstraße setzen. Der Inhalt dieses Modells, getragen von Mäzen Jan Philipp Reemtsma, wurde gestern nicht näher benannt.