Ein Liebeslied für Özals Wahlkampf

■ Der taz–Korrespondent begleitete den türkischen Ministerpräsidenten Özal einen Tag lang auf Wahlkampftour durch die Provinz / Die Wirklichkeit des türkischen Alltags verschwindet im rosigen Dunst vager Wahlkampfversprechungen

Von Ömer Erzeren

Giresun/Ordu (taz) - Inmitten einer wilden Topographie, links sattgrüne Hügel, die in verschneite Berge übergehen, rechts das blaue Meer, eine notdürftig hergerichtete Baracke: „Camping Wienerwald“. In langsamem Tempo rollt ein Wagenkonvoi vorbei. „Der Herr Ministerpräsident Özal und seine werte Frau grüßen die Bürger“. Abwechselnd mit türkischen Schlagern wiederholt ein Sprecher per Lautsprecher aus dem Bus Özals heraus die Grüße des Regierungschefs. Schulkinder winken dem Konvoi mit einem Transparent „Wir lieben Özal“ zu. Es ist Wahlkampfzeit in der Türkei. Zwei Kundgebungen sind für den Tag angesagt, in Geresun und Ordu. Doch Özal läßt es sich nicht nehmen, entlang der Strecke in kleineren Städten und Dörfern den Bus stoppen zu lassen und vom Dock des Busses aus, wo im Nu eine Rednertribüne aufgebaut ist, eine Ansprache zu halten. Özal ist ein gewaltiger Volkstribun, und die Oppositionspolitiker können ihm in puncto Rhetorik nicht das Wasser reichen. Er erinnert an die Tage vor dem Putsch, als die Aufzehrung des Devisenbestandes der Türkei in einem ökonomischen Kollaps mündete. „Denkt an die Tage, als ihr kein Benzin hattet.“ Mit knappen Sätzen illustriert er seine Wirtschaftspolitik und preist die Liberalisierungsmaßnahmen seine Kabinetts an. „Früher waren die Marlboro auf dem Schwarzmarkt. Jatzt importert sie der Staat. 500 Milliarden verdienen wir durch den Verkauf der ausländischen Zigaretten. Das Geld kriegt der von uns gebildete Wohnungsfonds. Damit bauen wir euch Häuser. Mit dem Geld, das früher die Schwarzhändler einsteckten, schaffen wir Arbeitsplätze.“ Die rauhe Wirklichkeit - Arbeitslosigkeit, sinkende Reallöhne, Verelendung, politische Repression - zerfließt in seinem Redeschwang voll verträumtem Zukunftsoptimismus. Akcaabat, ein Provinznest: rund 1.000 Menschen lauschen Özal. Unbefestigte Wege, in Dreck und Schlamm stehen Menschen in zerlumpten Klamotten. „Wir überspringen ein Jahrhundert. Wir bringen euch Telefon. Ihr könnt dann direkt in die USA durchwählen. Wir bringen euch Fernsehen. Nicht nur eines, son dern sechs Programme. Bald werden die Russen auf unsere Sender umstellen“, kündet Özal an. Je schriller die Zukunftsmusik, desto größer der Jubel der Menge. Aufgrund der Topographie ist landwirtschaftlich nutzbarer Boden in der Schwarzmeerregion äußerst knapp. Der Platz reicht für kleine Parzellen, auf denen Tabak, Haselnüsse und Tee angebaut werden. Angesichts des Bevölkerungswachstums gibt es für viele keine Arbeit; jährlich wandern Zehntausende in die Größstädte in der Hoffnung, dort Arbeit zu finden. Doch selbst das bittere Los der Binnenemigration vermag Özal ins Positive zu wenden. „Überall wo ihr in der Türkei hinkommt, habt ihr den Leuten Manieren und Fleiß beigebracht.“ Um Stimmen zu kassieren, ist er sogar bereit, Gesetze zu umgehen. „Ich kenn doch eure Schwäche für Waffen. Ihr produziert sie doch heimlich. Na, wir werden euch entgegenkommen, damit ihr legal zu euren Waffen kommt. Die Provinz, die uns die meisten Stimmen gibt, kriegt eine Waffenfabrik. so schaffen wir euch Arbeitsplätze.“ Der Wahlkampf aller Parteien ist auf eine einzige Person ausgerichtet, und die heißt Turgut Özal. Während die regierende Mutterlandspartei ihre one–man–show präsentiert, beruht der Wahlkampf der Oppositionsparteien darauf, Özal zu kritisieren. Weder die „Partei des rechten Weges“ mit dem konservativen Ex–Premier Demirel an der Spitze noch die beiden sozialdemokratischen Parteien vermögen ein alternatives Programm anzubinden. Im Bewußtsein vieler Wähler gibt es zum technokratischen Management sowieso keine Alternative. Jüngste Meinungsumfragen sind zu dem Ergebnis gekommen, daß Özals Mutterlandspartei rund 38 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen könnte. Zwischen 16 und 17 Prozent geben die Meinungsforschungsinstitute jeweils der Sozialdemokratischen Volkspartei und der Partei des rechten Weges. Alle anderen Parteien scheitern an der Zehn–Prozent– Sperrklausel. Das Ergebnis der Volksabstimmung im September, als über die Aufhebung des politischen Betätigungsverbots für Politiker wie Demirel und Ecevit befunden wurde, hat die Mutterlandspartei darin bestärkt, vorgezogene Neuwahlen durchzuführen. Während nämlich alle anderen Parteien zur Aufhebung des Verbots aufriefen, mobilisierte Özal seinen Propagandaapparat für ein „Nein“. Nur mit einer hauchdünnen Mehrheit erhielten die Politiker der Vor– Putsch–Ära ihre politischen Rechte zurück. Özals Vision ist die einer politischen Friedhofsruhe mit zerschlagenen oder an der Leine geführten Gewerkschaften: ein repressiver, starker Staat, der die Ökonomie dem freien Spiel der Marktkräfte überläßt und dessen Bürger statt aufzumucken fleißig für Hungerlöhne arbeiten. Seine Bewunderung gilt der Adenauer–Ära. „Ruhe, Ordnung, Fleiß, so haben es die Deutschen zwischen 48 und 69 zu etwas gebracht.“ Mit dem Aufruf, die nationale Einheit zu stärken, beendet Özal seine Ansprache auf der Wahlkampftour. Aus dem Lautsprecher dröhnt die Melodie des populären Liebesliedes „Oh, oh, Eminem, welche berauschende Schönheit“. Der Text ist umgedichtet. „Oh, oh, mein Özal, laß uns die Wahlen gewinnen“. Der kleine, dicke Mann beginnt, die Hände über dem Kopf nach dem Rhythmus zu klatschen, er singt mit. Die Menge tut es ihm nach.