Die Opposition beugt sich Pinochets Kurs

■ Nach der offenen Konfrontation bereiten sich die Parteien jetzt auf einen Urnengang vor / Von Thomas Schmid

Protesttage, Streiks und Barrikaden haben die Diktatur Pinochets nicht hinweggefegt. Als letzte große Partei schwenkten vor wenigen Tagen auch die Kommunisten auf die legalistische Linie ein: sie riefen ihre Anhänger auf, sich als Wähler registrieren zu lassen - entweder für freie Wahlen oder Pinochets Plebiszit. Am kommenden Donnerstag soll die Forderung nach freien Wahlen durch eine Großdemonstration unterstrichen werden.

1983 tauchten überall in Santiago die Kühe auf. Links von den eilig hingeschmierten, mitunter aber auch bis ins Detail liebevoll hingepinselten Wiederkäuern auf den Mauern der Hauptstadt stand ein Ypsilon und rechts, am Schwanz, die beiden Buchstaben „er“. Die Leute verstanden die Botschaft. Es war dieselbe, die jeden Monat Tausende in den Straßen Santiagos im Chor schrien: „Y va a caer“ - „Und er wird fallen“. „Kuh“ heißt auf spanisch „vaca“. Vier Jahre später ist die Euphorie verflogen. Zwar kommt es immer wieder zu Protesten und vereinzelt auch zu Streiks, werden immer noch Barrikaden gebaut und Massen mobilisiert. Doch die Hoffnung, darüber die Diktatur zum Einsturz zu bringen, ist dahin. Ins Zentrum der politischen Debatte ist längst das fürs nächste Jahr erwartete Plebiszit über die Nachfolge Pinochets, die dieser offenbar selbst antreten will, gerückt. Sämtliche großen Parteien rufen inzwischen die Chilenen auf, sich in die Wahlregister einzutragen. Der Genosse Trend geht weg von der Straße und hin zur Urne. Damit hat der Diktator seinen Fahrplan (siehe Kasten) durchgesetzt - und auch die Ebene des politischen Diskurses. Statt eines Plebiszits über einen von der Diktatur vorgesetzten Präsidentschaftskandidaten fordern die Parteien der Mitte und der Linken zwar immer noch freie Wahlen. Doch „wir haben drei Optionen“, sagt Andres Zaldivar, Expräsident der Christdemokratischen Internationale, - „wir erreichen die Durchführung freier Wahlen wie in Südkorea, - wir beteiligen uns an einem Plebiszit, das die notwendigen Garantien zugesteht und bei dem wir dann gewinnen werden, wie in Uruguay, - wir üben nationalen und internationalen Druck aus, um, wie auf den Philippinen, einen Stimmbetrug zu verhindern.“ Zaldivar, der dem „Komitee für freie Wahlen“ (CEL) vorsteht, signalisierte damit jüngst in Madrid, daß seine Partei sich wohl auch auf Pinochets Plebiszit einlassen werde. Auf seiner Europareise wurde er von Ricardo Lagos, dem Chef einer gemäßigten Sozialistischen Partei, der das „Komitee der Linken für freie Wahlen“ (CIEL) anführt, und von Sergio Molina, Präsident eines „Komitees von Persönlichkeiten für freie Wahlen“, begleitet. Als erstes Etappenziel will die „Kampagne für freie Wahlen“ erreichen, daß sich möglichst viele Chilenen in die Wahlregister eintragen lassen lassen. Die Anhänger Pinochets (nach Umfragen 15 bis 20 Prozent der Bevölkerung) haben diesen Schritt nämlich längst vollzogen, und so befürchtet nun die Opposition, daß Pinochet das Plebiszit zu einem relativ frühen Zeitpunkt durchzieht, um unter den bis dahin registrierten Wahlberechtigten eine Mehrheit zu erreichen. Aufgrund dieser Überlegung haben sich nach und nach, von rechts nach links, alle großen Parteien entschlossen, zur Registrierung aufzurufen - als letzte Anfang November die Kommunistische Partei, die noch wenige Monate zuvor eines ihrer prominentesten Mitglieder wegen eines offenen Dissenses in dieser Frage ausgeschlossen hatte. Maria Maluenda, deren Sohn vor zwei Jahren von Carabineros in Zivil grausam verstümmelt worden war, mußte die Partei verlassen, weil sie den nun plötzlich richtigen Kurs ein halbes Jahr zu früh propagiert hatte. Daß die chilenische Opposition freie Wahlen durchsetzt, ist wenig wahrscheinlich. Immerhin müßte dann zunächst die Verfassung geändert werden, die im Artikel Acht alle Parteien, die irgendeine Konzeption von Klassenkampf vertreten, verbietet. Nach geltendem Recht sind also Kommunisten und Sozialisten von Wahlen von vornherein ausgeschlossen. Ob aber das Kalkül der Opposition, dem Kandidaten der Diktatur bei einem Plebiszit eine Abfuhr zu erteilen, aufgeht, ist noch höchst ungewiß. Gelingt es nicht, sitzt der von der Diktatur auserkorene Präsident jedenfalls fest im Sattel - in gewisser Weise demokratisch legitimiert. Fällt andererseits der Kandidat der Diktatur bei einer Volksabstimmung durch, dürfte sich eine Dynamik entwickeln, die mehr demokratischen Zündstoff in sich birgt als ein schlichter Boykott des Plebiszits. Zweifellos steckt schon in einer Teilnahme am Plebiszit immer auch die Gefahr, die Diktatur zu legitimieren, weil man sich auf ihre Bedingungen einläßt. Von solcherlei Sorgen unbehelligt, ist die Christdemokratische Partei inzwischen einen Schritt weitergegangen. Sie ist dabei, die 33.000 Unterschriften zu sammeln, die es ihr ermöglichen, sich als legale Partei zu konstituieren. Wie die gesamte christliche, sozialistische und kommunistische Linke haben zwar die Jugendorganisation und der linke Flügel der Christdemokratischen Partei diesen Schritt scharf kritisiert. Man leiste damit der Strategie des Diktators Vorschub, die Opposition in legale und illegale (weil aufgrund der Verfassung nicht legalisierbare) Parteien aufzuspalten. Doch Patricio Aylwin, der im Juli die Parteiführung übernommen hat und jeden Pakt mit den Kommunisten ablehnt, beschwichtigt seine parteiinternen Kritiker: es handele sich um einen „taktischen Schritt“, man werde die endgültige Legalisierung als Pfand für künftige Verhandlungen einbringen: Legalisierung gegen Zugeständnisse der Diktatur in Richtung freie Wahlen. Einen handfesten Vorteil versprechen sich die Christdemokraten, wenn sie sich als Partei registrieren lassen, allerdings schon jetzt. Sie hätten dann das Recht, die Auszählung der Stimmen bei einem Plebiszit mitzuüberwachen. Der Schriftsteller Jorge Edwards, der dem 14köpfigen „Komitee der Persönlichkeiten für freie Wahlen“ angehört, hat das Beispiel der Philippinen vor Augen. „100.000 Volontäre in den Wahllokalen und ein Computersystem, das deren Angaben addiert und hochrechnet“, sollen verhindern, daß Pinochet sich über Schummeleien plebiszitär eine neue Amtsperiode erschleicht.