Krise in Italien: Nach Goria was ganz Neues?

■ Die Profilsuche der kleinen Koalitionspartner als Auslöser der Krise von Italiens 47. Nachkriegsregierung / Christdemokrat Giovanni Goria noch geschäftsführend im Amt / Sozialisten fürchten nun eine Annäherung zwischen Kommunisten und Christdemokraten

Aus Rom Werner Raith

In Gesprächen mit seinen Vorgängen und den Parlamentspräsidenten hat der italienische Staatschef Francesco Cossiga am Sonntag nachmittag seine Suche nach einer Lösung der jüngsten Regierungskrise des Landes begonnen. Nach dem Auszug der Liberalen aus der römischen Fünferkoalition mit Christdemokraten, Sozialisten, Sozialdemokraten und Republikanern hatte Ministerpräsident Giovanni Goria (DC) am Samstag doch noch seinen Rücktritt angeboten. Offizieller Anlaß des Bündnisbruches ist der Haushalt 1988 - ihn hatten der christdemokratische Regierungschef und der sozialistische Schatzminister nach Entdeckung eines „Loches“ von umgerechnet gut 15 Milliarden Mark ohne ausreichende Konsultationen der „kleinen“ Parteien korrigiert. Damit zogen sie sich den Zorn der Liberalen zu. Krach gibt es also nun nicht mehr nur zwischen den Seniorpartnern DC und PSI auf der einen und den „Junioren“ PLI, PRI und PSDI auf der anderen Seite, sondern auch bei den „Kleinen“ untereinander. Die nämlich sind nach ihrem gemeinsamen Wahldebakel im Juni - ihr Gesamt– Stimmenanteil sank von fast zehn auf gerade noch fünf Prozent - dringend auf Profilsuche. Die Republikaner hatten sich unter ihrem neuen Parteichef Giorgio La Malfa bereits seit Monaten auf einen knalligen Ausstieg aus der Koalition vorbereitet. Sie wollten aber vorher noch den Haushalt verabschieden, um dann „ihre“ Themen ins Zentrum des Streits zu rücken, etwa den nach den Anti– AKW–Referenden völlig außer Kontrolle geratenen nationalen Energieplan und die Industrieförderung. Der Schritt der Liberalen durchkreuzt diese Strategie der Republikaner, die darob dem PLI– Chef Renato Altissimo „populistische Stimmenfängerei“ vorwerfen. Doch immerhin hat das Liberalen–Manöver zum ersten Mal seit Jahren die Mini–Koalitionäre wieder ins Gespräch gebracht. Sie waren durch den von DC und PSI sorgfältig am Leben gehaltenen Dauerstreit der „Großen“ faktisch zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken. Andererseits würde die Koalition auch beim Ausscheiden des einen oder anderen „Kleinen“ noch eine satte Mehrheit besitzen. Der Knoten für Giovanni Goria - als früherer Schatzminister eigentlich Fachmann auf dem Gebiet des Haushalts - wurde unlösbar, als sich herausstellte, daß er zwar regierungsintern einen Kompromiß mit den Liberalen für Einsparungen im öffentlichen Dienst finden könnte - , daß er gerade damit aber die ihm sowieso nicht sonderlich gewogenen Gewerkschaften endgültig zum angedrohten Generalstreik bewegen würde. Einer Machtprobe mit der Regierung, wie es sie seit fast einem Jahrzehnt nicht mehr gab, fühlte sich Italiens jüngster Ministerpräsident wohl noch nicht gewachsen. Die Versuche von Staatspräsident Cossiga - der eine geplante Englandreise abgesagt hat - zur Überwindung der Krise treten am Montag mit Konsultationen der Partei– und Fraktionsvorsitzenden in ihre entscheidende Phase ein. Möglicherweise schickt er Goria mit den verbliebenen vier Parteien zurück ins Parlament - zumindest bis zur Verabschiedung des Haushalts, der gesetzlich bis zum 1.Dezember vom Tisch sein müßte. Entscheidet er sich für einen neuen Kandidaten, könnte es harte Auseinandersetzungen um neue Regierungsformeln geben - in den letzten Monaten sind sich Christdemokraten und Kommunisten zum Entsetzen der Sozialisten wieder nähergekommen und auf lokaler wie regionaler Basis Bündnisse eingegangen.