Barrikadewachen gegen „durchgeknallte Machos“

■ Eins, zwei, ... viele Kleindemonstrationen zur Hamburger Hafenstraße / Ratlosigkeit und Besonnenheit nach dem Beschluß der hanseatischen SPD/FDP–Regierung gegen Hafenstraße / Piratensender: „Echt geil, daß Ihr alle da seid“

Aus Hamburg Petra Bornhöft

Ob nun verpennt - Schlaf ist in Hamburg seit Tagen für viele nicht mehr angesagt - oder an den zahlreichen Sperren und Polizeikontrollen gescheitert, am Samstag morgen frieren nur einige hundert Demonstranten am U–Bahnhof Sternschanze. Grün dominiert: 7.000 Beamte im Einsatz, Panzerwagen, Wasserwerfer, ungezählte Wannen in der gesamten Stadt. Per Lautsprecher wiederholt die Polizei, was im Radio pausenlos durchgegeben wird: „Das Oberverwaltungsgericht hat die Demonstration verboten.“ Hektische Diskussionen der Demo–Leitung und Delegierten in einem Cafe: Um 11.15 sagen die Veranstalter die Kundgebung offiziell ab, längst haben kleine Gruppen sich zum Hafen aufgemacht. „Es war einfach niemand da, der den Beschluß, trotz Verbotes versuchsweise loszumarschieren, hätte durchsetzen wollen“, heißt es am Abend im Frauenplenum. Rasch füllt sich gegen Mittag die Hafenrandstraße zwischen Elbe und den international bekannt gewordenen Häusern. Einige Fotografen ärgern sich, daß sie keine „Vermummten“ vor die Linse bekommen. Der seit Tagen ungestört arbeitende Sender ,Radio Hafenstraße begrüßt immer neue Demonstrationsgruppen: „Echt geil, daß Ihr alle da seid.“ Solidaritätsadressen werden verlesen. „Ich bin Heiko von der Friedensini Rahlstedt und soll vom DKP–Parteivorstand aus richten: Die Hafenstraße muß bleiben.“ Irgendwie stört es einige allmählich, daß „der Hafen“, wie mensch die BewohnerInnen der Einfachheit halber nennt, nichts von sich gibt. Aber da kommt über den Sender: „Das mit den Wortbeiträgen macht Arbeit.“ Im Laufe des Nachmittags meldet Radio Hafenstraße dann laufend, daß sich neue Hundertschaften versammeln. Während die Mehrzahl der 4.000 KundgebungsteilnehmerInnen sich von dannen trollt, schlendern tütenbepackte Einkäufer, Mütter mit Kinderwagen, Kaschmir–Yuppies und Dobermann–Besitzer heran. Statt des üblichen Alsterspazierganges ist am Samstagnachmittag Barrikadenbummel angesagt. Unterdessen füllen sich die eilig geöffneten Cafes und Infozen tren. Auch in dem neu besetzten Flüchtlingsheim - am Eingang steht: „Für Zivis und Reporter verboten. Knüppelgebrauch“. Entspannte Atmosphäre in den alten, durchgehend geöffneten Kneipen der Bernhard–Nocht– Straße. Im „Zapfhahn“ lacht der dicke Klempner Walter, Zollstock und braune Kordhose legt er auch am Samstag nicht ab: „Kiek di mol düsse Pauer an.“ In der „Körner“ trinkenden Runde der alteingesessenen Bewohner will mann, „daß die hier bleiben können.“ Keiner in der verräucherten Kneipe zwischen den Barrikaden glaubt, daß die Räumung unmittelbar bevorsteht, aber „Ruhe wollen wir wieder haben“. Danach sehnen sich die meisten. Bei dem ab 19 Uhr tagenden Frauenplenum im zugigen „Ahoia“ reden vierzig Frauen ohne das übliche gereizte Klima über den zu besorgenden Ofen nebst Rohr. Am Sonntag soll das neue Frauencafe gestrichen werden. In die Diskussion platzt die Nachricht, der im Rathaus tagende Koalitionsausschuß habe es abgelehnt, den Vertrag für die Hafenstraße zu unterzeichnen. „Das heißt Räumung“. Stimmengewirr, Angst, in der Mausefalle zu sitzen. Ratlosigkeit und eine Spur von Resignation hinterläßt der Bericht einer Frau vom internen Hafenplenum: die Lage habe sich verändert. Alle Vorschläge für Verteidigungskonzepte im Falle einer Räumung gingen von frühzeitiger Information über die Polizeiaktion aus. Jetzt steht die „Armee“ im Viertel, auswärtige Beamte sind mit der Lage vertraut. Nur eines ist klar: Auch frau muß die „durchgeknallten, zugedröhnten Supermachos an den Barrikaden“ davon abhalten, eine Eskalation herbeizuführen. Die Frauen beteiligen sich an den „Barri–Wachen“. Ähnliche Stimmung auf dem öffentlichen 22–Uhr–Plenum, das wegen der rund 1.000 TeilnehmerInnen vom Zelt auf die Balduin– Treppe verlegt wird. Abwarten, Ruhe bewahren, lautet die Devise. Um 00.20 Uhr rücken Wannen und ein Wasserwerfer vor eine Barrikade in der Bernhard–Nocht– Straße. Die Straße füllt sich. Niemand wird rausgelassen. Nach acht Minuten ist der Spuk vorbei. Angeblich haben zwei brennende Autoreifen die Aktion ausgelöst. Sie ist typisch für den Nervenkrieg, der selbst Beobachtern „an Körper, Seele und Geist“ geht.