Zwei Jahre Knast für HIV–Positiven

■ Nürnberger Landgericht wertet ungeschützten Geschlechtsverkehr eines HIV–positiven Amerikaners als gefährliche Körperverletzung / Richter sprach von „Generalprävention“ / Gegen die „totale Kondomgesellschaft“

Aus Nürnberg Bernd Siegler

Zu einer Gesamtstrafe von zwei Jahren verurteilte die 13.Strafkammer des Nürnberger Landgerichts unter Vorsitz von Richter Adolf Kölbl den 46jährigen Amerikaner Linwood B. Der ehemalige Koch der Nürnberger US– Streitkräfte hat - so das Urteil - in drei Fällen in Kenntnis seiner HIV–Infektion ungeschützten Geschlechtsverkehr ausgeübt. Er wurde damit der gefährlichen Körperverletzung für schuldig befunden. In der einstündigen Urteilsbegründung bemühte Richter Kölbl sowohl die Generalprävention als auch die „Gefährdung unseres Rechtssystems“. Der Staatsanwalt hatte in seinem Plädoyer dreieinhalb Jahre Haft, der Verteidiger Freispruch gefordert. Seit dem 3.Juni 1986 weiß Linwood B., daß er HIV–positiv ist. Dr. Smith vom US–Hospital in Nürnberg klärte ihn damals über den Testbefund und die entsprechenden Verhaltensregeln auf. Als Linwood B. fast drei Monate später mit einer frischen Gonorrhöeinfektion im US–Hospital auftauchte, benachrichtige Dr. Smith zunächst die US–Regierung in Washington und anschließend die Nürnberger Staatsanwaltschaft. Mit Fotos bewaffnet ging die Polizei in einschlägig bekannten homosexuellen Treffpunkten und Bordells auf Zeugenjagd. In zwei Fällen wurde sie fündig, einen weiteren gab Linwood B. selbst zu Protokoll. Er firmiert als „unbekannter Italiener“ in den Akten. Seit dem 5.Februar 87 sitzt Linwood B. in Untersuchungshaft. Schon am 27.März erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage beim Landgericht wegen vierfacher versuchter gefährlicher Körperverletzung. Nur in dem Fall eines Spaniers, der sich im Laufe der Verhandlung in Widersprüche verwickelt hatte, urteilte die 13.Strafkammer in „dubio pro reo“. Zum Verhängis wurde Linwood B. ein ohne Kondom begonnener, aber dann mit Präservativ fortgesetzer Analverkehr mit dem „unbekannten Italiener“ nach dem 3.Juni sowie zwei Sexualkontakte mit dem Kraftfahrer Roland D. im Dezember 1986 und im Januar 1987. Nach anfänglichem Oralverkehr ohne Kondom kam es bei Roland D. zum geschützten Analverkehr. Das Gericht schenkte jedoch dem Zeugen Glauben, wonach Linwood B. auch zum Analverkehr ohne Kondom bereit gewesen sein soll. Ungeachtet der gutachterlichen Stellungnahmen zu den enormen Schwankungsbreiten der Ansteckungsrisiken bei den jeweiligen Sexualpraktiken wertete das Gericht das Verhalten des Angeklagten als „generell geeignet“, seine Partner zu infizieren. Entgegen den Safer–sex–Richtlinien der AIDS–Hilfen und der Bundesregierung sei dies auch beim Oralverkehr ohne Samenerguß der Fall. Linwood B. habe vorsätzlich gehandelt, da „er wußte, was er tat“. Es lasse sich zwar in keinem Fall eine tatsächliche Infizierung durch den Angeklagten nachweisen, aber „Eintritt oder Nichteintritt einer Ansteckung blieb lediglich dem Zufall überlassen“. Die Safer–Sex–Broschüren könnten sich zudem immer nur an Gesunde oder solche, die sich dafür halten, richten. „Für den Infizierten gibt es nur safe–sex, keinen Sex oder Aufklärung des Partners.“ Ein Infizierter habe kein Recht, einem Gesunden ein Restrisiko aufzubürden. „Die körperliche Unversehrtheit muß höher eingeschätzt werden als die freie Ausübung der Sexualität.“ Bei einem Mann, der keine Geschlechtspartnerin findet, würde niemand auf die Idee kommen, die Strafbarkeit der Vergewaltigung aufzuheben, versuchte Kölbl seinen Urteilsspruch plausibel zu machen. Der Infizierte habe zudem die Pflicht, den Gesunden aufzuklären, sonst käme es zu einer „totalen Kondomgesellschaft“. Daß zunächst der Arzt seine Schweigepflicht gebrochen hat, um den Fall ins Rollen zu bringen, findet Kölbl nicht verwerflich. Dr.Smith habe sich „in einem rechtfertigenden Notstand“ befunden. Das hohe Strafmaß rechtfertigte die 13.Kammer mit „generalpräventiven Erwägungen“. Der Verteidiger von Linwood B. wird Revision beim Bundesgerichtshof einlegen.