Kungeln um die Roten Roben

■ Fünf neue Bundesverfassungsrichter - in einem Geheimverfahren ausgesucht - wurden gestern vereidigt

Die Amtseinführung von fünf Richtern, die gestern Bundespräsident von Weizsäcker vornahm, bedeutet den bislang größten Personalwechsel in der Geschichte des obersten Gerichts der Republik. Der prononciert liberale Helmut Simon ist ausgeschieden - sonst wird sich politisch wenig ändern. Dafür hat die lange Parteienmauschelei das undemokratische Auswahlverfahren ins Gerede gebracht.

Das größte Revirement in der Geschichte des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) ist über die Bühne gegangen. Fünf neue Richter wurden gestern vereidigt. Zusätzlich gab es auch einen Wechsel in der Spitze der „letzten Instanz“. Den bisherigen Vizepräsidenten und Vorsitzenden des 1.Senats, Roman Herzog, ernannte Bundespräsident Richard v.Weizsäcker als Nachfolger des ausscheidenden Wolfgang Zeidler (SPD) zum Präsidenten des Karlsruher Gerichts. Ernst–Gottfried Mahrenholtz (SPD), seit rund sechseinhalb Jahren bereits Verfassungsrichter, ist in seiner Eigenschaft als Vorsitzender des 2.Senats nun Vizepräsident. Mahrenholtz erwarb als Kultusminister in Niedersachsen die Qualifikation für das Amt des Verfassungsrichters. Zwei Frauen unter 16 Richtern sind ein Novum in der Geschichte des BVerfG. Die frühere Bundesrichterin Karin Graßhof rückte jedoch schon vor einigen Monaten in den Kreis der Verfassungsrichter. Sie gilt als sogenannte „Neutrale“ und wurde auf Wunsch der SPD in den 2.Senat, den „Senat der Mumien“, wie ihn ein Insider wegen der unbeweglichen Gesichter und Positionen seiner Mitglieder einmal nannte, entsendet. Unter den fünf Neuen findet sich dagegen keine Frau. Für den CSU–Mann Engelbert Niebler schickte die CSU den Leiter der Gesetzgebungsabteilung der Bayerischen Staatskanzlei, Konrad Kruis, ebenfalls in den zweiten Senat. Auf ihn hatten sich die Bayern schon frühzeitig festgelegt und waren auch nicht bereit, auf Wunsch der CDU doch noch einen anderen Kandidaten zu benennen. Den „schwarzen“ Senat komplettieren jetzt der Heidelberger Professor für öffentliches Recht und Steuerrecht, Paul Kirchhof, der auf Vorschlag der CDU unter dem Etikett „neutral“ firmiert, und Eberhardt Franßen (SPD), zuvor Bundesverwaltungsrichter. Die drei anderen Richter des 2.Senats sind der CDU–Ex–Staatssekretär Hans Hugo Klein, der frühere Ankläger der Bundesanwaltschaft in RAF–Prozessen, Ernst Träger, den man, vielleicht aus Dankbarkeit, erst zum Bundesrichter und dann, nach der notwendigen Schamfrist von drei Jahren, in den Rang eines Verfassungsrichters katapultierte, sowie der Verfassungsrichter Ernst–Wolfgang Böckenförde (SPD). Während sich in „Schwarzen Senat“ politisch kaum etwas ändern dürfte, hat der 1.Senat mit dem Ausscheiden von Helmut Simon einen herben Verlust zu verkraften. Der engagierte Richter mit Rückgrat und einer eigenständigen Meinung wird durch den Kasseler Bundesarbeitsrichter Thomas Dieterich ersetzt. Auf ihm liegt deshalb ein besonderes Augenmerk. Dieterich ist Experte für die betriebliche Altersverso von Unternehmen bei ihren Lohn/ Gehaltsansprüchen heute weit weniger Rechte. Dieterich ist in seinem Gebiet juristisch nahezu unumstritten. Lediglich einmal kassierte das Bundesverfassungsgericht eine von ihm getragene Entscheidung. Doch im Unterschied zum politisch mutigen Helmut Simon ist Dieterich, den vor wenigen Wochen die Frauenrechtlerin und Vizepräsidentin der Hamburger Universität, Heide Pfarr, heiratete, mehr ein Wissenschaftler als Simon. Engagements von Dieterich außerhalb seiner juristischen Tätigkeiten sind nicht bekannt. Er selbst gilt als umgänglicher und menschlicher Typ. Dieterich war im Übrigen auch als Vizepräsident im Gespräch. Doch er lehnte ab, dann hätte er nämlich in den „Mumien“–Senat wechseln müssen. Nachfolger des CDU–Mannes Dietrich Katzenstein wird der Gießener Professor für Römisches Recht, Privatrecht und Arbeitsrecht, Alfred Söllner. Er fungierte dieses Jahr bereits als Schlichter im Tarifkonflikt der Metallindustrie. Gerade die Professoren Kirchhof, Söllner und der Bielefelder Dieter Grimm, der bereits vor einigen Monaten in den 1.Senat eingestiegen ist, sind politisch schwer einzuschätzen. Doch die Parteien haben sich ihre Kandidaten vorher gewiß genau angesehen. Felix Kurz