Im Geheimen zu Allmächtigen erwählt

„Ich schwöre, daß ich als gerechter Richter allezeit das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland getreulich wahren und meine richterlichen Pflichten gegenüber jedermann gewissenhaft erfüllen werde. So wahr mir Gott helfe.“ Diesen Eid müssen die Bundesverfassungsrichter bei ihrem Amtsantritt gegenüber dem Bundespräsidenten leisten. Ob den höchsten Richtern der BRD der liebe Gott bei ihrer Arbeit hilft, ist ungewiß. Eines hingegen ist sicher: Bis die je acht Richter in den zwei Senaten in das fünfte Verfassungsorgan dieser Republik gelangen, haben ihnen vor allem irdische Kräfte hinter den Kulissen geholfen. Während Bundespräsident, Bundestag, Bundesregierung und Bundesrat öffentlich gewählt oder bestimmt werden, gilt dies für die Mitglieder des Bundesverfassungsgerichts nicht. In keinem Bereich mit derartiger Machtfülle wird so gemauschelt wie bei der „Findung“ der Karlsruher Richter. Ihre Berufung erfolgt ohne jegliche Transparenz. Allenfalls durch Indiskretionen erfährt die Öffentlichkeit schon mal den einen oder anderen Namen. Laut Gesetz werden die 16 Richter durch den Bundestag und den Bundesrat gewählt. Der Bundestag bestimmt dazu einen zwölfköpfigen Wahlmänner(!)ausschuß, in dem alle Parteien vertreten sein sollen. Nicht dabei sind bisher die Grünen. Die brachten sich jedoch aus „eigener Dummheit“, so nennt die Grüne Bundestagsabgeordnete Christa Nickels, um das entsprechende Pöstchen. Dem vorgesehenen Kandidaten Otto Schily fehlten am Ende einige Stimmen der eigenen FraktionskollegInnen. Die waren zum eigentlichen Wahlgang nicht mehr erschienen. Sie glaubten, der Sitz sei ihnen aufgrund ihrer Mandatszahl nicht zu nehmen. Dennoch, auch die zwölf Gewählten sind nicht die Königsmacher. Da eine Zweidrittelmehrheit für die Wahl zum Verfassungsrichter erforderlich ist, müssen die Parteien sich einigen, die Verhandlungen führen für sie sogenannte Vertrauensmänner. Bei der SPD ist es EX–Justizminister Gerhard Jahn und bei der CDU nicht etwa ein Parlamentarier, sondern der Kanzleramtsminister Wolfgang Schäuble, ein enger Vertrauter von Helmut Kohl. Die Berufenen wissen später in der Regel, wem sie was zu verdanken haben. Besonders undemokratisch erscheint dieses Geheimverfahren angesichts der Allmacht der Karlsruher Richter. Sie können den Bundespräsidenten absetzen, Parteien verbieten (1956 mußte das die KPD erfahren), Gesetze aufheben und selbst neue Rechtsnormen aufstellen. Über diesem Gericht gibt es nur noch den blauen Himmel. Die „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen“, deren Vorsitzender Martin Hirsch selbst Verfassungsrichter war, sieht in dem Geheimverfahren einen glatten Verstoß gegen das Tranzparenz– und Informationsgebot bei der Besetzung wichtiger öffentlicher Ämter. Seit langem fordert auch der deutsche Richterbund mehr Durchsichtigkeit bei der Auswahl der Karlsruher. Die Grüne Fraktion hat inzwischen einen Änderungsentwurf zum Bundesverfassungsgesetz eingebracht. Darin verlangt sie u.a., daß sich die Kandidaten in einer öffentlichen Anhörung stellen. Entscheidungen, die beispielsweise das Kontaktsperregesetz oder die wesentlich längere Dienstzeit von Zivildienstlern gegenüber den Wehrdienstleistenden passieren ließen, zeigen, daß die Richter selbst Verfassungsverstöße legitimieren können. Der ausscheidende Verfassungsrichter Helmut Simon gehört heute zu den Kritikern dieser beiden Entscheidungen. So sei die Verfassung zwar auf ein gutes Funktionieren der Staatsgewalt angelegt, aber, das sagt Simon klipp und klar, „die Grundrechte wurden deshalb garantiert, um die Ausübung der Staatsgewalt zu mäßigen und zu begrenzen und nicht um das Funktionieren zu erleichtern“. Zudem bestehe die Gefahr, daß inhaltlich unbestimmte Begriffe wie eine funktionierende Landesverteidigung oder eine funktionierende Strafrechtspflege unter dem Druck vermeintlicher Notwendigkeiten „derart aufgebläht“ würden, „daß entgegenstehende Grundrechte minimalisiert werden“. Simon war der einzige linksliberale Richter des Gerichts. Er spricht sich beispielweise auch für Volksbefragungen aus, um so in einem ersten Schritt ein „parlamentarisches Minderheitenrecht“ einzuführen. Wenn Helmut Simon der Meinung war, daß eine Äußerung in einer bestimmten Frage wichtiger war als die richterliche Zurückhaltung, dann so sagt er, „habe ich vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht und mir nicht den Mund verbieten lassen“. Ganz anders Wolfgang Zeidler, der ebenfalls ausscheidende Gerichtspräsident. Der Duz–Freund von Ex–Bundeskanzler Helmut Schmidt hatte seinen Job auch seinem Freund zu verdanken. Zeidler gehörte dem zweiten, dem „schwarzen“ Senat an. Ihn trifft man bei öffentlichen Rekrutenvereidigungen, und so wundert man sich nicht, wenn er den Wehrdienst für Frauen propagiert und die Wehrdienstverweigerung ohne Anhörung (“per Postkarte“) von seinem Senat für verfassungswidrig erklärt wurde. Sein Nachfolger Ernst–Gottfried Mahrenholtz hat bei den letztgenannten Entscheidungen immer die Gegenmeinung vertreten. Den früheren niedersächsischen Kultusminister mußte die SPD regelrecht beknieen, damit er den Job des Vize–Präsidenten des Gerichtes übernahm. Denn durch die Vielzahl von Verwaltungs– und Repräsentationspflichten, kann Mahrenholtz voraussichtlich nicht mehr so viele Verfahren als Berichterstatter beeinflussen wie bisher. Felix Kurz