Sang– und klanglos

■ Zum Auftrittsverbot von Stephan Krawczyk

Fast auf den Tag genau elf Jahre nach der Ausbürgerung Wolf Biermanns hat die DDR dem Ost–Berliner Liedermacher Stephan Krawczyk auch in den Häusern der evangelischen Kirche Auftrittsverbot erteilt. Daß der Staat ihn jetzt bis in die Kirchen hinein an Auftritten hindert, zeigt, wie weit die SED von Glasnost entfernt ist und mit welch gespaltener Zunge die SED–Politbüro(kraten) reden und andererseits handeln. Eine neue Qualität der Verfolgung in bisher offiziell zugestandene Freiräume ist das staatlich durchgesetzte Autrittsverbot. Wenn man diese Maßnahme einerseits und das mit großem öffentlichen Pomp vor gar nicht langer Zeit verabschiedete Papier zwischen SED und SPD über den „Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit“ andererseits in Beziehung zueinander setzt, dann weist das auf enorme Verdrängungsleistungen hin. Erinnern wir uns: Unter der Überschrift „Grundregeln einer Kultur des politischen Streits“ hieß es in dem SED–SPD Papier: „Die offene Diskussion über den Wettbewerb der Systeme, ihre Erfolge und Mißerfolge, Vorzüge und Nachteile muß innerhalb jedes Systems möglich sein.“ Das Auftrittsverbot für Krawczyk beweist das Gegenteil. Die DDR–Führung versucht augenblicklich mit allen Mitteln, Glasnost und Perestroika als nichtübersetzbare russische Fremdwörter zu betrachten - dazu gehört der Maulkorb für den Ost–Berliner Liedermacher. Daß es elf Jahre nach der Biermann–Ausbürgerung ausgesprochen wird, weist auf eine alte Erkenntnis der Psychologie hin: Das Verdrängte kommt wieder, weil es eben nie aufgearbeitet worden ist. Max Thomas Mehr