Hafenstraße geräumt, Weg frei für Vertrag

■ Mit dem Abbau der Barrikaden haben die Bewohner der Hafenstraße den ersten Teil des Ultimatums erfüllt

Mittwoch nachmittag bot die in den letzten Wochen bekannteste bundesdeutsche Straßenzeile ein völlig ungewohntes Bild: barr friedlichen Lösung abhängig gemacht hat, ist auch mit einem Querschläger von Senatsseite nicht mehr zu rechnen. Damit wäre ein seit sechs Jahren andauernder Konflikt zu einem kaum noch erwarteten friedlichen Ende gekommen.

„Deutsche Revolutionäre sind nun mal ordentlich“, feixt ein Fotograf in der Traube der Journalisten und Fernsehteams, die den Abbau der Barrikaden rund um die Hafenstraße ab acht morgens beobachten. Bereits eine Dreiviertelstunde nach Abbaubeginn ist der Sperrmüll unten längs der Hafenstraße weitgehend beiseitegeräumt, die als Hindernis verwendeten Autowracks stehen wieder auf ihren Reifen und die ersten Besentrupps rücken aus, um den restlichen Müll und Dreck säuberlich weg zukehren. Um acht Uhr sind etwa 50 BewohnerInnen und UnterstützerInnen, um zehn Uhr rund 200 am Schuften. Die alternative Abrüstungsfirma arbeitet in Windeseile. HafenstraßenbewohnerInnen geben Anweisungen: Latten, Stacheldraht, alte Möbel und Heizungskörper wandern in Container, zweckentfremdetes Renovierungsmaterial aus den Häusern wird geborgen. Nun zeigt sich in voller Dimension, wie massiv die in langer Tag– und Nachtarbeit gebauten Barrikaden waren. SchülerInnen, Autonome, GALierIn nen, DKPisten und BewohnerInnen bilden Ketten, um die aus der Straße herausgerissenen Pflastersteine und aufeinandergeschichteten Platten wieder zurückzutragen. Andere schaufeln mit Spaten die Löcher und Gräben zu, dritte legen die Platten zurück ins Erdreich. „Das kann man ja nicht untätig mitansehen“, sagt ein Schauspieler des Thalia–Theaters. Wenig später steht er schweißüberströmt am Ende einer Kette und wirft ununterbrochen zehn Kilo schwere Steine auf einen Haufen. Etliche KollegInnen aus dem Thalia– und Schauspielhaus–Ensemble packen mit an oder halten sich für die „Prominentenwachen“ bereit. Das Plenum der BewohnerInnen und der „Initiativkreis zum Erhalt der Hafenstraße“ haben die „Promis“ der Stadt und alle, die sich dazu berufen fühlen, dazu aufgefordert, sich quasi als Menschenbarrikade bis zur Vertragsunterzeichnung schützend vor die Häuser zu stellen. Thalia–Intendant Jürgen Flimm, Dieter Kosslick vom „Filmbüro“ und andere Kulturschaffende sind seit den letzten Nächten präsent, Wache schiebend, um bei möglichen Zwischenfällen als Vermittler zu den Behörden zu dienen. Auch der linke SPD–Abgeordnete Leonard Hajen und sein Kollege Michael Sachs bewundern vor Ort den rasanten Befestigungsabbau - in weniger als drei Stunden ist alles weggeräumt, bis auf eine letzte Barrikade, die erst zu der von Dohnanyi gesetzten Ultimatumsfrist um 14 Uhr fallen soll. Sachs erzählt, wie er noch in der Nacht vergeblich Container über die Baubehörde zu bestellen versuchte. Bausenator und Hardliner Eugen Wagner stellte sich selbst in diesem Punkt quer. Schließlich aber konnte der Verein Hafenstraße Container ordern. Insgesamt herrscht eine lockere und gelöste Atmosphäre. „Ich bewundere den Mut von Dohnanyi“, sagt ein be leibter Bürger in ein NDR–Mikrofon. „Aber man darf auch nicht vergessen, die Hafenstraße ist ein Symbol gegen die verbrecherische Bodenspekulation am Elbrand.“ Nur die Sprecher von „Radio Hafenstraße“, nach Selbsteinschätzung „der bekiffteste Sender in der nördlichen Hemisphäre“ und nach einhelliger Meinung in der taz Hamburg der witzigste, zeigen sich frustriert: „Die schönen, schönen Barrikaden...“. Am Dienstag nachmittag hatte Radio Hafenstraße Dohnanyis „Ehrenworterklärung“ kommentarlos gesendet. Hunderte stecken die Köpfe zusammen - Überraschung, Freude, Erleichterung, Mißtrauen. „Barschels Ehrenwort war auch nichts wert“, gibt ein junger Mann an der Barrikade zu Bedenken. „Aber es ist unsere letzte Chance, die Häuser tatsächlich zu halten“, wirft die Freundin in schwarzer Ledermontur dazwischen. Mit den Worten, „wir haben nicht gewonnen und nicht verloren“ rennt ein „Hafen“–Bewohner über die Steine auf der Balduintreppe: das interne Besetzerplenum berät über die neue Lage. Gleichzeitig tagt der Initiativkreis zum Erhalt der Hafenstraße. Gespannt verfolgen draußen die UnterstützerInnen die Übertragung der gesamten Pressekonferenz aus dem Rathaus. Mensch ärgert sich über die schlechte Tonqualität des Senders auf den Dächern. Derweil füllen sich die Kaschemmen in der Bernhard– Nocht–Straße. Jetzt schlägt die Stunde derjenigen Hamburger Prominenten, die sich seit Wochen in der Öffentlichkeit für den Erhalt des Wohnmodells stark machen. Aus allen Ecken der Stadt düsen Kulturschaffende zum Elbrand. Sie stellen sich hinter Dohnanyi. „Total verschissen“ hat „Bingo von Lynch“, wie die Kulturschickeria ihren Senator seit Samstag schimpft. „Wie will der Senator für Kultur und Räumung eigentlich die nächsten drei Jahre überstehen?“ fragt ein Regisseur. Um 17 Uhr steht die Antwort der Bewohner und des Initiativkreises fest: die Barrikaden werden geräumt, Menschen sollen die Häuser bis zur Unterzeichnung des Vertrages schützen. In den Kneipen wird nach Sekt verlangt. Doch noch hat das offene Plenum nicht zugestimmt. In dem überfüllten, von Kerzen spärlich beleuchteten Versammlungszelt muß der Sprecher gegen prasselnden Regen brüllen, während er die Erklärung der beiden vorausgegeangen internen Plenen vorträgt. Donnernder Beifall und Freudengejohle erübrigen eine Abstimmung per Handzeichen. Auch die Zeit der stundenlangen Debatten, wie sie in den letzten Nächten üblich waren, ist vorbei. Zwei, drei Stimmen warnen: „Wieso vertraut Ihr jetzt plötzlich dem Senat? Wenn wir abbauen, liefern wir uns schutzlos den Räumern aus“. Nicht tiefes Zutrauen zum Senat, sondern die „Einschätzung, daß es für beide Seiten die letzte Möglichkeit ist, eine Vertragslösung durchzusetzen“, so lautet die Antwort, habe zur Annahme des Ultimatums geführt. Um 19 Uhr 15 ging dann die Zustimmung der Hafenstraße auch über ihren eigenen Äther. Voll auf Entspannungskurs schloß der Sender mit einem persönlichen Gruß: „Wir wünschen dem Genossen Dohnanyi ein gutes Baden und eine gute Nacht.“ Petra Bornhöft / Ute Scheub