Die Marktwirtschaftler von Lublin

■ Neokonservativismus auch in Polen: Auf dem brachliegenden Feld ideologischer Hegemonie blühen neue Denkzirkel / Ökonomische Opposition statt politischer?

Von Klaus Bachmann

Zufällig zur gleichen Zeit, als im polnischen Parlament Sejm das Programm zur Wirtschaftsreform beraten wird, fand in der Warschauer Innenstadt eine Diskussion eines der katholischen Kirche nahestehenden oppositionellen Klubs statt. „Es besteht die Hoffnung“, erklärten mehrere Redner, „daß sich der Staat nun auch noch aus der Sphäre der Wirtschaft zurückzieht, nachdem er das Feld der Ideologie schon praktisch aufgegeben hat“. Diese Hoffnung ist nicht nur unter aktiven Oppositionellen weitverbreitet, sie findet ihren Ausdruck auch in der Gründung zahlreicher neuer Initiativen, die unter dem Motto antreten: mehr Markt, weniger Staat. „Ausgehend von der katholischen Soziallehre erklären wir, daß das Privateigentum an den Produktionsmitteln dem Naturrecht entspringt und zu den grundlegenden Menschenrechten gehört“, verkündeten Anfang dieses Jahres Wirtschaftswissenschaftler anläßlich einer von der katholischen Universität Lublin organisierten Konferenz. Die „Charta der privaten Unternehmertätigkeit“, die sie dabei verabschiedeten, wurde nicht zufällig an der Universität Lublin ausgearbeitet. Seit sie 1981 die Genehmigung zu einer eigenen wirtschaftswissenschaftlichen Abteilung erhielt, entwickelte sich die katholische Universität Lublin unter ihrem Institutsleiter Prof. Kurowski zu einem Zentrum neokonservativen Denkens. Konservative Gedanken finden zur Zeit in Polen immer mehr Anhänger. Da verwundert es nicht, daß einer der bekanntesten Untergrundverlage seit einiger Zeit die Werke Milton Friedmans in polnischer Übersetzung herausgibt. „Das Auftauchen dieser Denkrichtung“, erklärt Aleksander Paszynski, „hat eine enorme Bedeutung in Polen und zwar im positiven Sinn. Denn sie muß den Leuten das Denken in Kategorien allumfassender Planung abgewöhnen. Schließlich wurde Polen fünfzig Jahre lang auf diese Weise regiert. Paszynski, selbst „von Friedman weit entfernt“, ist der Begründer der „ökonomischen Gesellschaft“, die seit einiger Zeit in Polen für Wirbel sorgt. Seit ca. einem Jahr bemüht sich der ehemalige stellvertretende Chefredakteur der Politykas um die offizielle Registrierung der Gesellschaft. Das Ziel der Gesellschaft ist „die Entwicklung und Propagierung von Initiativen, Einstellungen und Aktivitäten, die eine wirtschaftliche Aktivität der Bürger zum Ziel haben, die Unterstützung von Vertrauen in den Markt und das Privateigentum und auf diese Weise die Verbesserung der wirtschaftlichen Situation Polens“. Ziel: Ein mutierter Kapitalismus Daß sich die Behörden Zeit lassen mit der Registrierung, erklärt Paszynski mit den weitgesteckten Zielen der Gesellschaft: Von der Unternehmensberatung bis zu Stellungnahmen zur aktuellen Wirtschaftspolitik reicht das Spektrum der vorgesehenen Aktivitäten. Und gerade letzteres dürfte bei den Behörden eher Ängste wecken, pflegt sich der 60jährige doch recht deutlich auszudrücken. Das derzeitige System der zentralen Planungswirtschaft sei ineffektiv und zwar von Grund auf. Anstrebenswert sei „eine Mutation jenes Systems, das man gemeinhin Kapitalismus nennt“, erklärt er, „weil es kein System gibt, das in der Sphäre der Produktion effektiver ist. Wie man das so erwirtschaftete Nationaleinkommen dann verteilt, ist eine andere Frage. Da kann es geschützte Bereiche geben.“ Paszynski verhehlt nicht, daß er eine Änderung des bestehenden Wirtschaftssystems anstrebt: „In diesem Sinn sind wir oppositionell, in Opposition zur derzeitigen Wirtschaftspolitik. Unter unseren Mitgliedern sind viele, die bisher in der politischen Opposition tätig waren und angesichts gewisser Erfolglosigkeit zu dem Schluß gekommen sind, daß es nun an der Zeit ist, unabhängige wirtschaftliche Strukturen zu schaffen. Das ist den Behörden auch bekannt.“ Bis seine Gesellschaft landesweit von den Behörden anerkannt ist (bisher wurde sie erst in Krakau registriert), betreibt Paszynski mit neun anderen Miteigentümern eine Genossenschaft zur Unterstützung privaten Hausbaus. Außerdem ist er als Berater für diejenigen tätig, die ihr eigenes Privatunternehmen im realexistierenden Sozialismus aufmachen wollen. All das paßt natürlich gut in das Klima der „zweiten Etappe der Wirtschaftsreform“, aber Paszynski ist, wie wohl die meisten Polen zur Zeit, skeptisch, was die Verwirklichung der Ankündigungen angeht. „Dennoch“, meint er, „die Reform eröffnet gewisse Möglichkeiten.“