Mephisto in St. Pauli

■ Das Wunder von der Hafenstraße

Was haben Mephisto und die Barrikaden im Hamburger Milieu–Bezirk St. Pauli gemein? - Beide waren böse und haben Gutes bewirkt. Denn: Als die Straßensperren vor einer Woche aufgehäuft wurden, geschah dies nicht aus politischem Kalkül. Sie entstanden aus Wut über die vermeintlich endgültige Absage an einen Vertrag, den die Bewohner der Hafenstraße ohnehin nur unter großen Bauchschmerzen akzeptieren konnten. Das Chaos, das in dieser Nacht angerichtet wurde, war letztlich der Ursprung kreativer Prozesse, von dem Anarchisten seit Jahrzehnten träumen. Die starren Monumente brachten die festgefahrenen Verhältnisse zum Tanzen. Auf Seiten des Senats und auch in der Hafenstraße dachte man nun mehr oder minder laut darüber nach, wie die schier unausweichliche Eskalation der Gewalt zu verhindern sei. Dabei wurden die Zeichen der Zeit hinter den Barrikaden schneller erkannt als im Rathaus. Das „Nachdenken nach Frankfurt“, auf allen politischen Ebenen noch vor kurzem vielbeschworen, setzte ausgerechnet bei den als Krawallmachern und Terroristen diffamierten Hafenstraßen–Bewohnern ein. Während Dohnanyi im Senat noch an der Betonfraktion in seiner eigenen Partei scheiterte. Gegenüber den Gewaltphantasien einiger SPD–Senatoren muteten die Plena in der Hafenstraße wie Friedensversammlungen an. Die Möglichkeit, in einer solch aufgeheizten Situation militante Tabus zu brechen, Abrüstung zu diskutieren und letztlich umzusetzen, wurde jedoch erst durch die Barrikaden geschaffen und durch eine demonstrative Bereitschaft, sich nicht widerstandslos seinem Schicksal zu ergeben. Daß eine Politik der Stärke, daß Aufrüstung und ein Hochdrehen der Gewaltspirale alles andere als wünschenswert sind, stellt niemand in Frage. Man hätte auch im Konflikt um die Hafenstraße darauf verzichten können - wenn sie nicht die einzige Sprache darstellten, die die Noske–Nachfahren in der Hamburger SPD verstehen würden. Auch der Bundespräsident, der Dohnanyis Bestreben öffentlich unterstützte, ist an diesem Punkt weiter als die sozialdemokratischen Haudraufs. Daß nach den Morden in Frankfurt noch auf die Politik der Stärke zurückgegriffen werden muß, macht trotz des Jubels über den Vertragsabschluß nachdenklich. Axel Kintzinger